Kurt 30 „Die Bildagentur“
Wuah, ich lach mich schlapp. Ich glaub’s nicht, das ist ja besser als Ostern und Weihnachten zusammen. *Hüpf-hüpf-hüpf*. Der blöde Kurt, der flippt aus, wenn ich ihm das zeige. Ich muss rüber zu ihm, oder? Ne, das muss ich unauffälliger machen.
Ach, ihr wisst noch gar nicht, warum ich so guter Laune bin, oder? Wie auch. Also, ich hab mir da so ein Buch gekauft mit dem Titel „Fotografie für Anfänger“, und da….
DING-DONG
Oh wie geil, you make my day. Ich wurde erhört, das kann nur die Nervensäge von nebenan sein. Ich geh mal gerad‘ zur Tür.
„Moin Kurt!“ Oha, da hat aber jemand die Arroganz-Mütze ganz tief ins Gesicht gezogen. Kurt schaute gar nicht zu mir rüber, sondern irgendwo in die Botanik. Dann schaute er zu mir laaaaangsam rüber und lächelte. „Hallo Thomas, na, was macht so die Hobbyfotografie?“
Er lächelte noch immer. Was für’n Blödmann! „Was soll die blöde Frage? Bist du vielleicht ein Profi?“
Als wenn er auf die Frage gewartet hatte, wurde sein Grinsen jetzt breiter und er zog aus seiner Hemdtasche ein – ich fass es nicht – Visitenkarten-Etui heraus. Er nahm eine Karte und reichte mir diese. Ja, das Grinsen wurde noch breiter. Ich nahm die Karte, darauf stand mit großen Buchstaben:
KURT-PROFIFOTOGRAF
Hallo? Hat der noch alle Latten am Zaun? „Willst du mich veräppeln? Du bist doch kein Profi, du alter Knipser.“
Kurt schlug die Augen so à la Klugscheißer auf und meinte nur: „Ach, und was zeichnet einen Profifotografen aus?“
„Na ja, bestimmt nicht, weil es auf deiner Visitenkarte steht. Ich bin da ja auch kein Fachmann, aber Geld sollte man damit schon verdienen.“
Boah, der macht mich irre! Kurt hat dieses außergewöhnliche Talent, mit einem Dauergrinsen weitersprechen zu können. Als wenn der einen umgedrehten Kleiderbügel im Mund hat. Und der hört doch nicht auf zu grinsen.
„Du meinst also, wenn man z. B. seine Bilder verkauft, dann zählt das als Profi?“
„Ja, aber bestimmt nicht, wenn du deiner Oma ein Tulpenbild für eine Schale Roter Grütze verkaufst. Und es zählt sicherlich auch nicht, dass du mal 3 Pfund Gehacktes für Schlachter Karl fotografierst und dafür drei Frikadellen erhalten hast.“
Ich schaff’s doch immer wieder. Kurts breites Grinsen wurde etwas schmaler. „Das waren vier Frikadellen und das Bild hängt immer noch über der Fleischtheke.“
Ja klar, weil Schlachter Karl farbenblind ist und nicht merkt, dass das Bild grünstichig ist. Mir wird jetzt noch übel, wenn ich an dieses grüne Gehackte denke.
Kurt machte weiter: „An wen sollte man denn Bilder verkaufen, damit man in deinen Augen als Profi gilt?“
„Na ja, ist doch ganz simpel, z. B. an Bildagenturen.“
Ich hatte ‚Bildagenturen‘ noch nicht ganz ausgesprochen, da entwich Kurt ein entzücktes „Genau!“
Er zog ein Papier aus der Tasche und reichte es mir. „Dann lies mal, du Neunmalkluger, was hier steht!“
Kurt gab mir eine ausgedruckte E-Mail. Die E-Mail war von der Bildagentur Schrottomedia und man gratulierte ihm zu vier Verkäufen je 2,50 Euro.
Ich schaute von der E-Mail zu Kurt. Er hatte die Arme verschränkt, legte den Kopf etwas zur Seite und grinste mit einer Heftigkeit, mit der er mir quasi sagen wollte: „Na Macker, nu biste platt, oder?“
Schrottomedia, eine dieser zahlreichen Bildagenturen, wo Amateure ihre Bilder zum Verkauf präsentieren können. Grauenhaft, schlimmer als Fotocommunitys, denn hier läuft die Kritikaufnahme gegen Null, sobald irgendein Schrottbild tatsächlich mal für 99 Cent verkauft wurde.
Die meisten User halten die „Blende“ zwar immer noch für einen Kamera-Sonnenschutz, führen aber, wie unser Kurt hier, sofort den Titel „Profifotograf“ in ihren Briefkopf und ihre Visitenkarte ein.
Was hab´ ich letztens noch in einem Userprofil gelesen? „Fotografiere seit 3 Monaten, aber erst seit zwei Monaten professionell.“
Ein Highlight, auch für Außenstehende, sind jedoch die Diskussionen, wenn die Redaktion Bilder der User ablehnt mit dem Hinweis auf schlechte Qualität oder, noch besser, nicht zu vermarkten. Ist aber auch wirklich zu dreist ein Schmetterlingsbild abzulehnen, wo man doch erst 300 000 Schmetterlingsbilder im Archiv hat. Also man sollte dem Kunden schon eine kleine Auswahl lassen.
Und die angeschlossenen Fotocommunities toppen jede Schmalzproduktion im Land.
Mir tun nur die Bildredakteure leid, die sich jeden Tag diesen Schrott angucken MÜSSEN und dem User dann einen möglichst plausiblen Grund nennen dürfen, der in keinster Weise beleidingend wirken darf. Da muss man sehr vorsichtig sein, denn Bildagenturen-Knipser sind extrem empfindliche Gesellen. Man fühlt sich ja immerhin als Profi.
Und dann muss der Bildredakteur schreiben: ‚Aufgrund schwerer Verkaufbarkeit abgelehnt‘, obwohl er lieber schreiben würde: ‚Boah ey, von ihnen kommt nur Müll, aber wirklich ausschließlich, das tut ja schon in den Augen weh! Können sie sich nicht endlich mal ein Grundlagenbuch über Fotografie kaufen?‘
Und nun hat Kurt es tatsächlich geschafft, dass vier seiner Bilder verkauft wurden. Ist ja unglaublich. Ich zog meine Stirn in Falten und sagte: „Na und? Vier verkaufte Bilder im Gesamtwert von 10,- Euro. Da muss die Liste der bestverdienenden Leute in Deutschland ja nun nicht unbedingt neu geschrieben werden.“
Kurts Grinsen änderte sich kein Stück, er blieb tatsächlich weiterhin ruhig und entgegnete mir nur: „Du bist einfach ein neidischer Hobbyfotograf, der nicht in meiner Liga spielt, deshalb juckt mich dein Gesabbel gar nicht.“
Na warte, Kurtchen, jetzt holen wir dich mal aus der Reserve. „Und, wer hat deine Bilder gekauft? Deine Frau?“ Nun konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, Kurtchen wurde natürlich jetzt leicht sauer.
„Jaja, glaubst du, aber ich hab mal nachgeforscht. Kennst du den Verlag Photomania?“
„Ja klar kenne ich den, hat erstklassige Fotobücher, habe ich selber welche im Regal stehen.“
Kurt platzte fast vor Stolz und seine Mundwinkel trafen beim aktuellen Grinsen fast am Hinterkopf wieder zusammen. „Jaaaa, mein Freund, und *die* haben meine Bilder gekauft. Nu biste platt, wa, Macker?“
„Mensch Kurt, das ist natürlich eine tolle Leistung. Und soll ich dir was sagen? Ich hab da erst heute ein neues Buch bekommen vom Photomania-Verlag. Ich hab da noch nicht reingekuckt, aber evtl…..“
Kurt riss die Augen auf und wurd total hektisch. „Gib’s mir, gib’s mir, da sind bestimmt meine Bilder drin.“
„Ist ja gut, bleib ruhig! Ich hol’s ja.“
Ich ging nach drinnen und als ich nach draußen kam, riss mir Kurt das Buch schon aus der Hand. Er blätterte wie wild darin rum ohne auf den Titel des Buches zu achten. Dann stoppte er, er hatte seine Bilder gefunden. Seine Augen leuchteten. Nun schaute er zu mir und seine Augen veränderten sich zu kleinen Schlitzen. Er nickte mir zu und sagte: „Das ist der endgültige Beweis, *ich* bin der Profi und *du* bist der Knipser.
Ich zuckte mit den Schulter und sagte: „Tja, da kann ich wohl nichts gegen sagen. Aber sag mal, das ist ja nun ein Buch für Anfänger, in welchem Kapitel stehen denn deine Bilder?“ *Unschuld-heuchel*
Kurt stutze kurz, schaute erst auf den Einband und las ‚Fotografie für Anfänger‘. Dann blätterte er wieder zu seinen Seiten und las das erste Mal die Überschrift zu seinen Bildern. Die Freude und Zuversicht sank sichtbar aus seinem Gesicht. Es gibt da nämlich ein Kapitel, das da heißt ‚Wie man’s nicht machen soll‘ und genau da wurden Kurts Bilder als leuchtendes Beispiel genannt.
„Gib mal her das Buch, Kurt, lass mich mal lesen!“
Kurt riss das Buch an seine Brust und schaute mich mit großen Augen an. „Aus, Schluss! Ich äh… will dich nicht noch mehr frustrieren, du musst dir das nicht angucken.“
Ich könnt´ mich wegschmeißen. „Ach Kurt, man muss auch mal Niederlagen eingestehen. Ich freu´ mich gerne mit dir, nun zeig schon!“
Kurt wich ein Stück zurück, das Buch immer fester an die Brust gedrückt.
Kein Wunder, denn ich wusste ja bereits, was da zu seinen Bildern stand. Ich kann’s nicht eins zu eins wiedergeben, aber so ungefähr stand da:
„Hier vier gute Beispiele, wie man es nicht machen soll. Der nicht vorhandene Bildaufbau führt zu langweiligen, ausdrucksarmen Bildern, die auch noch mit vielen Mängeln behaftet sind. Auch wenn sie erst gerade mit der Fotografie angefangen haben, dann sollte ihnen trotzdem auffallen, wenn ihre Bilder derart unscharf und fehlbelichtet sind, dafür ist kein Anfängerbuch notwendig. Außerdem sollten sie so selbstkritisch sein und auch mal ein Bild löschen. Diese vier Bilder wurden z. B. in einer Billigbilder-Bilderagentur hochgeladen und ich glaube kaum, dass der Autor die Absicht hatte in meinem Buch als schlechtes Beispiel zu landen. Aber gehen wir die größten Mängel mal durch….“
Den Rest erspar´ ich euch.
„Kurt, nun zeig mir doch mal deine Bilder! Weil ich so danebengelegen habe, kopier´ ich die Seite auch und schick sie an die Nachbarn.“ Kurt schüttelte ganz wild mit dem Kopf. „Nein nein, das war…äh…eine Auftragsarbeit, äh…die Bilder wurden für einen bestimmten Zweck gemacht, nix Besonderes.“
Ich schaute Kurt grübelnd an: „Und du willst mir deine Bilder wirklich nicht zeigen?“
Kurt grinste verlegen und ging mit dem vor den Bauch gedrückten Buch immer weiter zurück. „Nein nein, ich bin nicht für so viel Aufmerksamkeit, äh du kennst ja meine Bescheidenheit, das gibt nur wieder Missgunst und so.“
Unbedingt mein Freund, deine Bescheidenheit ist ja weltbekannt.
„Außerdem“, Kurt schüttelt abwertend den Kopf, „ist das kein gutes Buch. Das musst du nicht verwenden, da gibt es bessere Bücher. Erzähl’s mal niemanden, gibt nur Neid bei den Nachbarn. Bleibt unser kleines Geheimnis, okay?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn du das unbedingt möchtest, von mir aus.“
Kurt drehte sich um und hastete zu seinem Haus. Das Buch sehe ich wohl nie wieder. Der alte Knipser!
Was ich mit einem Buch ‚Fotografie für Anfänger‘ wollte? Äh, ein Versehen seitens des Verlages, äh … eigentlich wollte ich einen Landschaftsband über Helgoland *schluck*.
😉
Thomas Tremmel