Kurt 15 „Eine Busfahrt die ist lustig…“

„Und wenn ihr jetzt rechts aus dem Fenster schaut, dann seht ihr wieder wunderschöne Apfelblüten. Und keine Angst, wir halten in der nächsten Parkbucht, damit ihr auch diese fotografieren könnt. Treu nach unserem Motto ‚Eine Busreise mit Meyer ist für Fotografen eine Feier‘, hihi“. 

Ich hätte da auch ein tolles Motto für dich: „Den Tunten-Reiseführer von Meyer trete ich gleich voll in die ….“.

Ihr wisst gar nicht um was es geht, oder? Ich habe eigentlich auch keinen Bock euch das zu erklären, denn ich sitze hier mit soooooo‘ nem Hals und hab voll die Hasskappe auf. Aber nutzt ja nichts, sonst macht die ganze Geschichte ja kein Sinn. Also, ich sitze hier in einem Reisebus. Ihr kennt das sicherlich, so einen Tagesausflug inklusive Mittagessen, Reisebegleitung usw. Nein, keine Verkaufsveranstaltung, aber das hier ist auch viel schlimmer. War alles Kurts Idee, von wem auch sonst.

Er kam ganz aufgeregt mit diesem Flyer zu mir. Dort stand:

Foto-Busreise durch das Alte Land

Erleben sie einen wunderschönen Tag im Alten Land zur Apfelblüte.

Auf unserer organisierten Tour zu verschiedenen Höfen und Kirchen werden sie auch ausreichend Zeit haben, die Apfelfelder mit ihren wunderschönen Blüten zu fotografieren.

Für eine gute Stimmung sorgt unser Entertainer Hansi.

Während der Fahrt werden sie immer wieder mit fotografischen Tipps versorgt.

Ich konnte mich gar nicht wehren, Kurt hatte sich schon vorher bei meiner Frau informiert, ob ich an diesem Tag Zeit hätte und dann gleich zwei Karten geordert.

Und nun sitze ich neben Kurt in diesem Scheiß-Bus, fahre von einer Scheiß-Kirche zur nächsten, höre mir seit Stunden das Geschwätz von diesem Scheiß-Tunten-Hansi an und habe noch nicht ein Foto geschossen.

Wir waren kaum am ersten sogenannten Fotomotiv angekommen, da ging es auch schon wieder weiter. Ich hatte überhaupt keine Chance mein Stativ auszupacken, weil nach 5 Minuten schon nach mir geschrien wurde. Ich wollte zumindest einmal um diesen Hof laufen um nach Motiven Ausschau zu halten, aber dazu kam es erst gar nicht. Die ganze Horde drängte sich aus dem Bus, knipste schnell so ein komisch verziertes Tor, stieg wieder in den Bus und das war’s. Das alles dauerte keine 5 Minuten. So ging es von Hof zu Kirche, von Kirche zu Hof. Und immer der gleiche Ablauf. Jedes Mal schrie dieser Hansi: „THOMAS, HALLO THOMAS. Wir wollen weiter. Auf geht’s, auf geht’s.“

Ich wurde von den anderen Gästen schon komisch beäugt und auch Kurt meinte ziemlich angesäuert, warum ich immer wieder auffallen müsse.

Ihr fragt euch sicherlich, ob ich der Einzige war, der sich so verhielt? Aber sicher. Die anderen Gäste interessierten sich gar nicht fürs Fotografieren. Gerademal die Hälfte hatte überhaupt eine Kamera dabei, eine Spiegelreflex habe ich maximal dreimal gesehen. Die sind gar nicht wegen der Fotografie mitgekommen, sondern wegen lecker Mittagessen und Kaffee und Kuchen. Die meisten machen diese Tour schon zum fünften Mal mit, egal unter welchen Motto.

So, und jetzt stellt euch das Szenario mal bildlich vor. Ich sitze hier in einem Bus, der fast zu 80% nur aus alten Schachteln besteht, die ganze Zeit läuft hier nur absolute Hardcore Volksmusik á la „Lass den Sonnenschein, in dein Herzilein hinein, sülz“, neben mir ein begeisterter Kurt, der mich immer wieder versucht zum Schunkeln zu animieren, 10 Millionen Apfelblüten, die alle einzeln betrachtet werden müssen (ich esse ab heute nur noch Apfelmus, wobei ich jeden Apfel einzeln mit dem Vorschlaghammer zermalme), ein andauerndes Hupkonzert von erbosten Autofahrern, weil wir hier auf der Landstraße zum Obstblütenspannen im Schneckentempo fahren, und dazu ein Tunten-Reiseleiter mit rosa Sakko, weißer Hose, weißen Schuhen und Lederschlips, der seit heute Morgen um 09:00 Uhr in einer Tour 200 Jahre alte Klein-Erna und Klein-Fritzchen Witze erzählt.

Ach ja, die Fototipps gab es beim Mittagessen. Herbert, 82 Jahre, zeigte uns während des Mittagessens seinen Diavortrag „Bundesgartenschau 1961“. Nein, versucht erst gar nicht euch das vorzustellen, das schafft ihr nicht. Dieser Vortrag wird mich noch in meinen Träumen verfolgen. Natürlich gab Herbert auch Fototipps. Sonne immer im Rücken, immer einen UV-Filter gegen den Blaustich und wenn es mal ein bisschen bunter werden soll, den Agfa CT18 nutzen. Kurt schaute mich dabei an und fragte mich, ob das ein neuer Film wäre, den kenne er gar nicht.

Ach ja, von wegen lecker Mittagessen. Es gab Rouladen. Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Rouladen hasse? Nein? Dann wisst ihr es jetzt. Kurt fand das übrigens gut, weil er nämlich gerne Rouladen isst und sich über meine gefreut hat.

So, nun könnt ihr evtl. nachempfinden, wie ich mich zur Zeit fühle. Ich habe noch ca. 2 Millionen Apfelblüten, 1 Kirche, 3 Höfe und Kaffee und Kuchen vor mir. Unserem ‚Hansi‘ sind die Klein-Erna Witze ausgegangen und er macht seit 10 Minuten mit Häschen-Witzen weiter.

Ich machte mir gerade meine Gedanken, ob ich nicht auch mal das Tor beim nächsten Hof fotografiere. So mit Hansi, baumelnderweise am Seil am mittleren Balken, als Kurt mich anstieß. „Na, super Fahrt, oder?“ Ich lächelte verkrampft zurück: „Ja, ganz toll. Was ich hier schon alles gelernt habe.“

„Wird noch besser, kannst mir glauben“, meinte Kurt. „Was,“ fragte ich Kurt mit einem gequält-erstaunten Blick, noch besser? Jetzt sag bloß, wir gucken uns auch noch die Birnen- und Kürbisblüte an. Meine Güte, soviel Filmmaterial habe ich ja gar nicht mit.“

Kurt konnte da nichts mehr drauf erwidern, denn Hansi kam plötzlich auf uns zu. Ich bekam noch das Ende seines letzten Witzes mit, bevor er uns ansprach. „…hattu Platten, hihi, versteht ihr? Hattu Platten. So liebe Freunde, nun ist es mir eine Freude Kurt und Thomas nach vorne zu bitten.“ Wie bitte? Spricht der mit mir? Kurt grinste übers ganze Gesicht und war schon auf dem Weg nach vorne. „Einen Applaus für Kurt und Thomas. Thomas, müssen wir dich denn schon wieder auffordern, hihi. Nun komm schon.“ Hansi hatte so einen Ton drauf, als wenn er mit einem Dreijährigen spricht und ich mag das gar nicht, wenn so ein Fatzke mich so behandelt. Ich schüttelte mit dem Kopf, aber der ganze Bus klatschte im Rhythmus und rief im Chor: „THOMAS, THOMAS, THOMAS.“

Wenn ich noch schnell ein Bekennerschreiben irgendeiner Terrorgruppe aufsetze, dann fällt der Verdacht vielleicht gar nicht auf mich, wenn ich den ganzen Bus in die Luft jage.

Tja, Realität war aber, dass ich also aufstand, nach vorne ging und mich zwischen Kurt und Hansi stellte. Hansi wendete sich zuerst an Kurt: „Kurt, das ist jetzt deine fünfte Tour mit Meyers-Busreisen und der dritte Gast den du für uns geworben hast (ach was?). Dafür erhält Kurt nicht nur einen Freifahrtschein für die nächste Tour (aha), sondern auch unsere Meyer´sche Treueurkunde in Bronze. Herzlichen Glückwunsch.“

Der ganze Bus applaudierte. Kurt ging mit stolzgeschwellter Brust zu seinem Sitz zurück und musste so einige Hände schütteln. Soso, ein alter Bekannter also. Wunderte mich schon, dass er mich überhaupt mitgenommen hat, wo er doch sonst eher ein kleiner Geheimniskrämer ist.

Hansi drehte sich zu mir um und sagte: „So, und nun zu dir Thomas.“ Mach hin du Fatzke. Gib mir meine Urkunde für die erste und gleichzeitig letzte Tour mit Meyers-Horrorreisen und gut is.

„Thomas, mein lieber Thomas“. In mir fing es so langsam an zu kochen. Sprich nur weiter in diesem Ton mit mir, dann werde ich deinen Lederschlips gleich am Außenspiegel befestigen, ohne ihn dir vorher abzunehmen.

„Lieber Thomas, wie Kurt dir bestimmt schon gesagt hat, gibt es bei uns eine schöne Tradition.“ Ach was, hat er mir erzählt? Ich schaute Kurt an. Dieser grinste nur und zuckte mit den Schultern. „Jeder Meyers-Busreisen-Beginner führt sich mit einem kleinen Ständchen ein.“ Als ich das hörte, dreht ich mich ganz langsam Klein-Hansi zu. Meine Augen wurden kleine Schlitze und mein Stirn schlug böse Falten. Hansis Ausdruck wurde etwas unsicher, denn er konnte in meinen Augen folgendes lesen: ‚Junge, ich steck dir dein Mikrofon gleich in den Allerwertesten und dann kannst du selber La Paloma aus jedem noch freien, dir zur Verfügung stehenden Loch pfeifen.‘

Der ganze Bus klatschte im Rhythmus und rief: „SINGEN, SINGEN, SINGEN.“

Hansi guckte mich an und meinte eher ruhig: „Ein kleines Lied, ein ganz klitzekleines?“

„Nein, kein Lied. Auch kein klitzekleines.“

Darauf wendete sich Hansi an die Busschar: „Thomas kann leider nicht singen.“ Ein großes ‚Ohhhhhh‘ ging durch den Bus. Ich zeigte auf meinen Hals und zuckte mit den Schultern. Dann rief eine Oma aus der letzten Reihe: „Ja, aber die Tradition.“ Daraufhin stand Kurt auf und meinte: „Ein Gedicht, ein schönes Gedicht wäre doch auch in Ordnung.“ Donnernder Applaus und immer wieder Rufe ‚Ja ein Gedicht‘, ‚Ein Gedicht für die Tradition‘.

Hansi schaute mich mit einem treudoofen Blick an und flehte gerade zu: „Ein Gedicht Thomas, komm bitte. Du ärgerst uns schon den ganzen Tag damit, dass wir auf dich warten müssen und deine Roulade hast du auch nicht gegessen. Also bitte ein Gedicht.“

Applaus für Hansis Worte und bitterböse Blicke auf mich von den meisten Anwesenden.

Ich schaute erst Hansi an und dann die Menge, dann sagte ich mit einem Seufzer: „Na gut, ein kleines Gedicht, wegen der Tradition.“

Hansis Miene und die Gesichter der Anwesenden erhellten sich und ich bekam donnernden Applaus für diese Aussage. „Ich bin aber kein besonders guter Dichter, aber ich geb mir alle Mühe.“ Hansi gab mir das Mikro und ich begann mit meinem Gedicht:

„Ihr werdet euch jetzt freun,

denn ich hab für euch was gedichtet.

Von guten Bildern werdet ihr nur träum,

denn IHR SEID ALLE UNTERBELICHTET.“

Ich geb’s zu, 10 Kilometer zu Fuß waren sicher kein Pappenstiel, aber das Wetter war gut und ich habe sogar noch ein Apfelblütenfeld fotografiert. Mit ein wenig Zeit und Muße läuft das schon ganz anders. Nach 10 Kilometern bin ich dann in ein italienisches Restaurant eingekehrt und habe mich erstmal bei Pasta und Vino erholt. Als dann die beste aller Ehefrauen eintraf, um mich abzuholen, lachte sie nur und meinte: „Es hätte mich auch gewundert, wenn das gut gegangen wäre.“

Ach ja, wie ich gehört habe, hat Kurt den Fehler gemacht und Herbert nochmal nach diesem neuen Film *Agfa CT18* gefragt, worauf sich dieser dann auf den freien Platz neben Kurt gesetzt und ihm die restliche Fahrt von alten Zeiten (inklusive der  Bundesgartenschauen ’61 bis ’97) erzählt hat. Anscheinend war Kurt davon ganz und gar nicht begeistert.

Da soll nochmal einer sagen, es gäbe keine Gerechtigkeit 🙂

 

😉

Thomas Tremmel