Kurt 02 „Das Buch der Top-Ten-Ausreden“

Gestern stand mein Nachbar Kurt mal wieder mit hochrotem Kopf an meiner Haustür.

„Hier haste deine Bücher wieder“, schnaubte er und drückte mir meine beiden Fotobücher unsanft in den Bauch. Kurt ist mit seiner Bildausbeute überhaupt nicht zufrieden. Seine Bilder erreichen man gerade Knipserniveau. Da habe ich ihm zwei meiner Fotobücher geliehen, um ihn mal ein wenig mit den Grundlagen vertraut zu machen und so evtl. zu besseren Bildern zu verhelfen.

„Is was mit dem Buch >Grundlagen der Fototechnik< nicht in Ordnung?“ fragte ich erstaunt.

„So ein überflüssiger Quatsch“, schimpfte Kurt, „meine Kamera hat 16 Motivprogramme mit gekoppelter Belichtungsautomatik und Fehlbelichtungswarnung. Ich lese doch keine 250 Seiten über Dinge, die meine Kamera automatisch macht. Das ist was für irgendwelche Freaks, die sich beim Fotografieren noch schwarze Tücher über den Kopf ziehen müssen.“

„Und was ist mit dem zweiten Buch >Über Bildgestaltung zum besseren Bild?< fragte ich erneut. Nun wurde es heikel. Kurt stemmte seine Hände in die Seite, schaute mich mit verdrehten Augen an und sagte: „Ich habe mir doch keine Kamera mit einer 1/8000stel Sekunde gekauft, um stundenlang irgendwelche Goldenen Schnitte zu suchen oder den ganzen Tag auf das richtige Licht zu warten. Meine Else meckert schon immer, weil sie meine Ausrüstung tragen muß. Wenn dann auch noch das Mittagessen kalt wird, weil ich auf der Suche nach der richtigen Perspektive bin, verpasst sie mir den Goldenen Schnitt, und dann liege ich automatisch in der Froschperspektive.“

„Eigentlich sollten die Bücher ja die Qualität deiner Bilder verbessern. Vielleicht gebe ich dir noch mal die >Kleine Fotoschule< mit“, schlug ich ihm vor.

Da lächelte Kurt und holte hinter seinem Rücken ein kleines, sehr dünnes Heftchen hervor. „Du lernst das nie, Thomas. Du hast einfach die falschen Bücher. Ich habe gestern ein Buch gefunden, welches alle meine Probleme mit Leichtigkeit löst“, sprach er und drückte mir das dünne Heftchen in die Hand. Ich schaute auf den Titel, und meine Augen wurden immer größer. Als Titel stand dort:

Die 10 besten und meistbenutzten Ausreden bei misslungenen Fotos.

Ich schlug das Heftchen auf und las das Vorwort.

Sie haben keine Lust, sich mit fotografischen Grundlagen zu beschäftigen oder sich mit Bildgestaltung zu quälen? Sie haben ein Wahnsinns-Equipment, aber Ihre Bilder sind trotzdem für die Tonne? Kein Problem, mit unseren Ausreden weisen Sie in Zukunft jeden Kritiker in die Schranken.

Ich schaute Kurt ungläubig an, aber er sagt nur „Lese weiter und mach den Mund wieder zu, es kommt nur noch eine Seite, aber die ist genial.“ Ich schlug die Seite um und las weiter, aber mein Mund blieb offen.

Die Top-Ten Ausreden.

  1. Das hat die App so gemacht.
  2. Das ist Kunst.
  3. Du hast ja keine Ahnung.
  4. Ich habe absichtlich gegen die Regeln der Bildgestaltung verstoßen.
  5. Das ist Absicht, das soll so.
  6. Das ging nicht anders, die Situation war eben so.
  7. Das macht die Bildbearbeitung automatisch so.
  8. Das Objektiv ist leider nur eine olle Scherbe.
  9. Ich wollte kein Bild machen, wie’s alle machen.
  10. Das hat meine Frau fotografiert.

„So ein Unfug, das funktioniert doch nie“, sagte ich leicht erzürnt. Kurt lächelte nur und gab mir eins seiner letzten Urlaubsbilder. Au weia, sein typischer Schrott vom letzten Nordsee-Ausflug. Postkartenmotiv vom Leuchtturm. Nur eben grottenschlecht. Leuchtturm oben angeschnitten, Horizont und Turm schief, überbelichtet, unscharf und blaustichig.

Kurt_2

Ich zeigte auf das Foto und sagte zu Kurt: „Kurt, der Horizont und der Turm sind total schief.“ Kurt lächelte nur und sagte: “ Nr. 6 der Top 10.“ Ja, da ist er nicht der erste, der das dafür vorschiebt.

„Aber du hast den Leuchtturm oben angeschnitten.“ Kurts Lächeln wurde immer breiter: „Nr. 2 oder 4, kannst du dir aussuchen.“

Das darf doch wohl nicht wahr sein. „Kurt, das Bild ist total unscharf und überbelichtet.“ Kurt platzte jetzt fast und sagte „Für die Unschärfe Nr. 8 und für die Überbelichtung Nr. 5. Und bevor du’s sagst, der Blaustich kommt natürlich von Nr. 7.“ Arrrrrgh, ich konnt’s nicht glauben. Jetzt platzte es aus mir heraus: „Kurt, verdammte Kiste. Dein Foto ist große Scheiße.“

Kurt drehte sich um und ging zurück zu seinem Haus, aber er lächelte mich noch immer an und sagte noch: „Thomas, das ist eben die typische Nr. 3. Und bevor du noch etwas sagst, über dem gesamten Foto steht die Nr. 10. Also halte dich lieber etwas zurück.“

So ging er pfeiffend von Dannen und ließ mich wie einen begossenen Pudel im Regen stehen.

Ach übrigens, das Heft ist schon mehrere Jahre alt und hat eine sehr hohe Auflage erzielt. Haben Sie das Gefühl, dass jemand in Ihrem Bekanntenkreis auch heimlicher Besitzer dieses Buches ist?

😉

Thomas Tremmel