Kurt 11 „FotOstern“

Wann wird Ihnen das erste Mal im Jahr deutlich, dass Weihnachten vor der Tür steht? Wenn der erste Schnee fällt oder wenn Sie Ihren ersten Glühwein trinken? Bei uns ist das ganz einfach: Ungefähr um die Zeit, wenn Sie die Uhren wieder von Sommer- auf Winterzeit stellen oder überlegen, ob man dieses Wochenende wohl noch mal grillen kann, dann herrscht bei meinem Nachbarn Kurt reges Treiben. Sie brauchen einfach nur in ca. 20 m Entfernung an seiner Haustür vorbeizulaufen, und schon werden Sie akustisch durch ein „Jingle bells, jingle bells, jingle all the way…“ bombardiert, das man in dieser Lautstärke sonst nur auf dem Jahrmarkt antrifft. Kurt hat dann nämlich seine beiden 500-Watt-Bewegungsmelder-Flutlichtstrahler (glauben Sie mir, Sie sind schon blind, wenn Sie die erste Stufe betreten) auf dieses beliebte Lied umgebaut. Jetzt wird man nicht nur blind, sondern auch noch taub. Dazu klingt das alles mit seinen selbst zusammengebauten Lautsprechern ungefähr so, als wenn die Gremlins das Liedchen vortragen.

Nach kurzer Zeit kommt dann der Weihnachtsmann dazu, der an der Regenrinne hochklettert. Dieser verliert immer seinen Kopf, der dann auf die Straße rollt. Natürlich löst er dann immer dieses „Jingle bells, jingle bells, jingle all the way…“ und die Flutlichtanlage aus. Ein Bild zum Totlachen, wenn das nicht immer mitten in der Nacht passieren würde, weil dann Kurts Katzenvieh immer am Weihnachtsmann hochklettern will. Dazu kommen dann noch verschieden beleuchtete Weihnachtsmänner vor der Haustür, vollgestellte Fensterbretter und beklebte Fensterscheiben mit allem möglichen Weihnachtskram und natürlich nicht zu vergessen die Gartenzwerge, die alle rote Weihnachtsmützchen (zum Kotzen süß) aufbekommen.

Alles noch halb so wild, aber dann kommt der 1. Dezember. Stellen Sie sich einfach vor, Sie müssten alle Blinklichter aus Las Vegas und vom Münchner Oktoberfest an einem Haus anbringen, dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie es bei Kurt aussieht. Da blinkt wirklich jedes freie Fleckchen. Und glauben Sie ja nicht, er hätte sich auf die Farbe weiß beschränkt: blau, rot, lila, pink, da blinkt wirklich alles. Das Haus von Kurt sieht dann eher aus wie ein Mega-Puff für den Weihnachtsmann, so auf die Art: „Hey Weihnachtsmännchen, der Alte besorgt gerade den Tannenbaum, schau doch mal grad vorbei“.

Ob ich was gegen Weihnachten habe? Nein, ist doch prima. Ein paar zusätzliche freie Tage, gutes Essen und im Fernsehen interessante Filme, wo die bösen Römer die Löwen immer mit Menschen füttern (Meine Kinder fragen dann immer, um wem es in dem Film geht. Ich sage dann, es geht um jemanden, welcher der Grund für Weihnachten ist. Meine Kinder suchen dann immer jemanden mit einem langen weißen Bart und einen roten Mantel im Kolosseum). Ich bekomme halt nur die Krätze, wenn ich diese Kitsch-Invasion erlebe.

Aber auch das hat ein Ende, so ungefähr gegen Ende Januar. Dann erfolgt eine kurze Ruhephase, so bis Anfang März, wenn die Eierinvasion kommt. Die Gartenzwerge bekommen dann keine kleinen Mützchen, sondern zwei lange Ohren. Der ganze Vorgarten ist voll mit kleinen Häschen, Küken und reichlich bunten Eiern. Natürlich aus der Billig-Plastik-Sonder-Vorratstüte mit 200 Eiern für 1 Euro. An der Forsythie hängen so große Eier, als wenn Kurt aus einem Dinosaurier-Museum dem Brontosaurus eben diese aus dem Nest stibitzt hat. Die kleinen Sträucher ächzen qualvoll unter der Last dieser Eier und haben eigentlich schon keine Lust mehr zu blühen. Außerdem sehen diese bunten Eier einfach nur ätzend an den Sträuchern aus.

Ob ich was gegen Ostern habe? Nein, ist doch prima. Ein paar zusätzliche freie Tage, Eier zum Frühstück und im Fernsehen interessante Filme, wo die bösen Römer ihre Kreuze immer mit Menschen schmücken (Meine Kinder fragen dann immer, um wen es in dem Film geht. Ich sage dann, es geht um jemanden, welcher der Grund für Ostern ist. Meine Kinder fragen dann, ob Ostern nächstes Jahr ausfällt, wenn der Osterhase gekreutzigt wird). Ich bekomme halt nur die Prusteln, wenn ich sehe, wie die ersten Blüten mit diesen Plastikschrott erschlagen werden.

Aber auch das hat ein Ende, so ungefähr gegen Ende April, dann ist erst Mal Ruhe bis Halloween.

Sie fragen sich jetzt sicherlich, warum ich Ihnen das alles erzähle und was das mit Fotografie zu tun hat. Ganz einfach, ich stehe gerade vor Kurts Vorgarten und bekomme voll den Hautausschlag.

Wir haben jetzt Mitte Mai, die Sonne geht gleich auf und ich will die Zeitung von draußen holen. Normalerweise reicht die Entfernung schon aus, um Kurts Bewegungsmelder-Flutlichtanlage auszulösen. Aber nicht so heute morgen. Heute morgen wurde ich geblitzt und hörte aus Kurts grässlicher Lautsprecheranlage ein „Hier ist das Vögelchen.“

Mit der Zeitung in der Hand stehe ich nun vor Kurts Vorgarten und traue meinen Augen kaum. Der Bewegungsmelder wurde an ein Kompaktblitzgerät angeschlossen und zusätzlich wird die Vögelchen-Melodie ausgelöst. An den Sträuchern, wo zu Ostern die Brontosaurus-Eier hingen, hängen nun überall Filmdosen oder Filmpackungen. Die Fensterscheiben sind mit Kamerawerbung beklebt. An einem weiteren Baum hängen Kurts letzte Urlaubsschnappschüsse. An der Tür hat er ein Mobile aus Filterdosen aufgehängt und sein Stativ steht auf dem Rasen und ist mit Lametta und Filmstreifen behängt. Aber die Härte ist, und fragen Sie mich nicht, wo er das herbekommen hat, auf dem Dach hat er einen blau-rot-grün-gelb blinkenden Schriftzug mit den Worten „You’re pictures in 1 hour“ hängen.

Uaaaah, ich glaub`s nicht.

Wie ich da noch so ungläubig stehe, geht auch schon die Tür auf und ein grinsender Kurt kommt mir entgegen. „Hallo Nachbar und frohe Fotostern“.

„Frohe was?“

„Ja ja, neue Wege gehen. Nie auf der Stelle treten. Immer für neue Ideen offen sein. Alles das repräsentiert Fotostern.“

Ein Albtraum, ich bin mal wieder in einem Albtraum. Ich musste mich erst Mal wieder sammeln, atmete einmal tief durch und fragte dann: „Was zur Hölle ist Fotostern?“

„Na ja, weißt du, nachdem die schöne Osterdekoration nicht mehr im Vorgarten hing, kam uns das alles so leer vor. Und da dachten meine Else und ich, dass doch jetzt bald die Urlaubszeit vor der Tür steht und dass man dann wieder viel fotografiert bei dem schönen Wetter. Solch ein Tag muss einfach gefeiert werden. Und da kam mir, dem Kurti, die Idee, diesen Tag halt Fotostern zu nennen.“

Ich fass es nicht. Der Typ schafft mich. „Aha, und wenn die Grillsaison anfängt, dann nennst du das Schnitzeladvent und hängst überall Bratwürste in die Bäume.“

Kurt schaute etwas nachdenklich in die Luft und meinte: „Haben wir auch überlegt, aber da geht dann unsere Muschi immer bei.“

Muschi, wie kann man ein so dickes und hässliches Vieh nur Muschi nennen. Ihr solltet das mal hören, wenn Kurts Frau ihre Muschi tagsüber ruft, das ist einfach obermegapeinlich (nein, ich mache das jetzt nicht nach, dafür habt ihr eure Phantasie). 

„Kurt, Feiertage haben meist einen religiösen Hintergrund und somit sollte auch das Schmücken deines Vorgartens an einen solchen erinnern. Es gibt aber keinen Feiertag a la ‚Die heiligen drei Kameras‘ oder so.“

Kurt schaute mich schon etwas finsterer an und meinte mit ernster Miene: „Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass Jesus mit einem Osterhasenkostüm auferstanden ist und in der Hand ein Körbchen mit Eiern gehalten hat. Oder hast du schon mal zu Weihnachten gesehen, dass jemand seinen Baum mit Kreuzen oder kleinen Römern geschmückt hat?“

Bingo. Passiert zwar selten, aber damit hat er mich voll erwischt.

„Ja, o.k, aber es fehlt trotzdem der religiöse Hintergrund bei deinem Tag.“

„Soso“, Kurt wirkte irgendwie sehr selbstsicher, wenn auch etwas erregt, „und was ist mit dem Valentinstag? Wo ist da der religiöse Hintergrund? Den hat doch irgendein Blumenhändler erfunden, um sein Geschäft anzukurbeln und wir fallen alle drauf rein. Vielleicht sollten wir auch den Bockwursttag einführen, um die Schlachter etwas zu fördern.“

Hey, irgendwas läuft hier falsch. Wieso muss ich mich denn auf einmal verteidigen? Vielleicht muss ich mich auch noch rechtfertigen, warum ich noch keine Einwegkameras in den Bäumen hängen habe. Na warte, den Spieß dreh ich um.

„Na ja, aber so ein paar bunte Eier zu Ostern und die niedlichen Osterhäschen sind doch ganz nett.“

„Papperlapapp,“ Kurts Stimme wurde immer erregter, „alles Humbug, als wenn wir wegen der Ostereier einen zusätzlichen freien Tag bekommen würden. Übertriebenes Gehabe von irgendwelchen Hausfrauen, die vor Langeweile nichts Besseres zu tun haben, als ihre Wohnung mit Eiern und Häschen vollzumüllen.“

„Und ihren Garten“, fügte ich hinzu.

„Ganz genau“, stimmte mir Kurt zu, „und den Garten.“

Er springt drauf an. „Na gut Kurt, aber die Weihnachtszeit ist doch ein Fest der Wärme.“

„Wärme?“ Kurt lief langsam rot an. „Was hat dieser Konsumwahnsinn mit Wärme zu tun. Überall glotzt dich dieser Kasper im roten Mantel an und am Weihnachtsabend kommt auch wieder nur Müll im Fernsehen. Und dann diese Energieverschwendung mit dem ganzen Leuchtkram in der ganzen Stadt.“

„Und einige führen das sogar noch zu Hause fort.“

„Du sagst es. Die machen diesen ganzen Popanz auch noch mit.“

Jetzt muss ich am Ball bleiben. „Man stelle sich nur mal vor, bei anderen Feiertagen würde man auch so einen Aufstand machen.“

„Ja“, lachte Kurt, „zum Beispiel zum ‚Tag der Deutschen Einheit‘ würden wir uns alle kleine Mauern ums Haus bauen und es würde nur Birne zum Mittag geben.“

Nun lachte ich gekünstelt mit und sagte: „Und wenn das alle noch nicht reicht, dann erfinden wir selbst noch einige Tage und schmücken unser Haus.“

Nun lachte Kurt und meinte: „Genau, wie wär’s mit einem ‚Herbstfeiertag‘, dann können wir das Scheiß-Laub liegen lassen oder Friseur-Feiertag, dann kann ich die ganzen Perücken von meiner Else an den Bäumen hängen.“ Kurt schlug sich auf die Schenkel und lachte schon Tränen. Ich lachte leicht mit und meinte dann ziemlich trocken: „Oder jetzt zum Urlaubsbeginn nennen wir einen Tag einfach Fotostern.“

Patsch! Das saß. Kurt hörte schlagartig auf zu lachen und kam langsam aus seiner gebückten Haltung hoch. „Ja, genau,“ sagte er sehr langsam und ohne Regung, „oder wir nennen einen Tag Fotostern.“

Ich war mir nicht ganz sicher, wie Kurt nun wohl reagieren würde. Er ging einfach zu seiner Haustür (natürlich blitzte es kurz und das Vögelchen begrüßte ihn) und öffnete diese. Dann brüllte er in den Flur: „Ellllllsssseeeee. Sieh zu, dass die Scheiße aus dem Garten kommt, ich mach mich ja zum Affen.“ Kurzes Gegrummel aus dem Hausinneren, dann brüllte Kurt wieder: „Nein, deine Scheiß-Kürbisse kommen noch nicht in den Garten, es kommt gar nichts mehr in den Garten. Und häng endlich die Eier von dem Tannenbaum.“

Rumms! Kurt ging ins Haus und knallte die Tür. Ich wollte gerade die Schumi-Jubelpose einnehmen und ballte schon meine Faust, als die Tür noch mal aufging, Kurt rauslugte und mir zubrüllte: „Und stell du endlich deinen bekloppten rosa ‚Taj Mahal-Vogelkasten’ aus dem Garten. Du machst die ganze Straße damit lächerlich.“

Öh, ähem, wisst ihr, kleines Souvenir aus Indien. Und die indische Musik, die immer erklingt, wenn der Futternapf leer ist, stelle ich auch bestimmt bald ab. Stört doch eigentlich kaum, oder?

Was war das da gerade mit …an die eigene Nase fassen…?

 😉

Thomas Tremmel