Kurt 18 „Der Hochzeitsfotograf“

Ich bin verloren. Ich bin total im Arsch. Mir fällt nichts ein, mir fällt verdammt noch mal nichts ein. Kann nicht mehr lange dauern, dann bringt er mir die Einladungskarte vorbei und schon bin ich im Eimer. Da, jetzt ist er gerade bei den Müllers und geht rüber zu den Meyers. Oh Graus, was mach ich nur.

Worum’s geht? Kurts Tochter Elvira heiratet. Ich hätt ja nie dran geglaubt, aber die müssen wohl irgendein armes Schwein unter Drogen gesetzt haben.

Ich bin unfair? Ihr habt ja keine Ahnung. Elvira ist eine perfekte Kreuzung zwischen Nervensäge Kurt, seiner hysterischen, oberspießigen Frau und einer extrem fiesen Zicke. Und das alles verpackt in ein Nilpferdkostüm.

Mit 10 Jahren hat sie mir 12 Rollfilme ausgepackt und abgewickelt. Kann passieren, ist ja noch ein Kind, sagt ihr? Sehr witzig. Als ich sie gerade noch beim ersten Film erwischt habe, habe ich ihr das ganz in Ruhe erklärt. So von wegen kosten viel Geld, ist kein Spielzeug usw. Da hat sie ganz lieb genickt, sich entschuldigt und wollte Friseur spielen gehen. 20 Minuten später kam sie dann mit ihrer neuen Friseur; eine Lockenpracht aus meinen 12 Rollfilmen. Kurt und seine Else haben sich gefreut und applaudiert. Mir hat sie nur die Zunge rausgestreckt.

Mit 16 Jahren wollte sie auf einmal, dass ich sie mit ihren Freundinnen in die Disco fahre. Da habe ich nur laut gelacht und den Wunsch verneint. 10 Minuten später stand Kurt in der Tür und sagte: „Hättest aber ruhig mal früher was sagen können, dass du noch mal meine Dänemark-Urlaubsdias sehen möchtest. Wo soll ich aufbauen?“ Zum Glück dauerte ihre Disco-Zeit nur ein halbes Jahr.

Und ich bin mir ziemlich sicher, sie hat das olle Katzenmistvieh immer zu mir in den Garten zum Scheißen geschickt. Jaja, ich weiß schon, Katzen sind ganz sauber, machen nur in ihr Katzenklo und blablabla. Elvira hat schon immer grinsend am Zaun gestanden, wenn das passierte. Sie hat immer eine helle Freude dabei gehabt, wenn ich den Dreck wegmachen durfte.

Und nun heiratet sie. Soll ja nicht mein Problem sein, aber Kurt verteilt gerade die Einladungskarten in der Nachbarschaft und es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich dran bin. Meine Frau hat’s gut, die fährt mit den Kindern übers Wochenende zur Oma und hat das Kurts Else auch gleich mitgeteilt. Ich hab mich schon gefreut, dass ich da nicht mit muss und das ganze Wochenende für mich alleine habe und nun dies. Und ich Hornochse erzähl Kurt das auch noch.

Und mir fällt nichts ein. Ich kann doch nicht auf einmal sagen: „Du Kurt, ich hatte da zwar nichts vor, aber jetzt wo deine Tochter heiratet, muss ich wohl doch Holz für den nächsten Winter haken.“

Meine Frau ist mir natürlich auch keine Hilfe. ‚Hättest ja mit zu Mutti kommen können, aber du drückst dich ja immer. Nun haste den Salat.‘

Oh weh, was mach ich nur. Das werde ich nicht aushalten. Die ganze Verwandtschaft von Kurt, die Jodelgruppe, der Kleingärtnerverein und was weiß ich noch für Monster. Die werden mich schaffen, das werde ich nicht aushalten. Eine Idee, bitte eine Idee.

Ding Dong.

Wie, was? Das isser. Wartet, ich könnte sagen, äh ne, oder vielleicht…

Ding Dong

Mist, in guten Geschichten fällt dem Held doch immer noch etwas in letzter Minute ein.

DING DONG

Der Held ohne Idee öffnete die Tür. „Hallo Kurt, welch Überraschung.“ Ich musste schlucken und der Schweiß stand mir auf der Stirn.

Kurt schaute mich gar nicht an, sondern nach unten auf den Boden. Dabei kreiste er mit dem Fuß. Er machte nicht den Eindruck, als wenn er mir eine freudige Mitteilung machen wollte, sondern eher eine unangenehme.

„Moin Thomas,“ sagte Kurt sichtlich verlegen, „du hast bestimmt schon davon gehört, dass unsere Elvira heiratet. Tja, und eigentlich wollten wir dich ja auch einladen, aber…na ja…wie soll ich’s sagen…“.

Sag’s einfach, sprich das Wunder aus. Ihr habt einen Platz zuwenig oder ich soll euren Rasen hüten. Was auch immer, lass das Wunder geschehen.

„Tja, also wir können dich leider nicht einladen. Ich hoffe, du kannst das verschmerzen.

Jaaaaa, Strike, Touchdown. Das Wunder ist geschehen. Ich wäre fast geplatzt, antwortete jedoch ganz trocken.

„Ach, das ist aber schade. Gerade wo ich doch an dem Wochenende alleine Zuhause bin und mich schon drauf gefreut hatte.“

„Ja, ist mir auch unangenehm Thomas, aber da kann man nichts machen.“

„Jo, ist nicht so schlimm Kurt. Dann feiert mal schön und viele Grüße.“ Das war jetzt wie in einem B-Movie. Der Held (ohne Idee) wurde in der letzten Sekunde aus einer aussichtslosen Situation gerettet.

Ich wollte gerade die Tür zumachen und im Haus den Freudentanz aufführen da meinte Kurt noch: „Moment, nicht so schnell.“

War klar, da war ein Haken an der Sache. Kurts Blick wurde etwas ernster als er sagte: „Wir können dich nicht einladen, weil wir dich für eine andere Aktion brauchen.“

Irgendwie war mir der Ernst der Lage noch nicht ganz klar und ich sagte: „Kein Problem, hab ja Zeit. Was soll ich denn machen? Katze füttern? Haus bewachen?“

„Nein,“ Kurt rückte etwas näher, „du sollst die Hochzeit fotografieren“.

Klatsch!

Ich hatte mal einen Kumpel, den hat man beim Fußball so was von in den Arsch getreten, dass ihm dabei das Steißbein gebrochen wurde. Es soll eine Stunde gedauert haben bis man ihn eingefangen hatte und zwei Stunden, um ihm das Grinsen operativ zu entfernen. So ungefähr fühlte ich mich jetzt auch.

„Äh, w-w-wie jetzt, Hochzeit fotografieren? Ich?“ Ich stotterte mehr, als das ich sprach. Das hat mich voll getroffen. Vom 12 Tonner überrollt, von der Footballmannschaft überrannt, von Brutus ins Herz gestoßen, von Dracula gebissen, von Winnetou erschossen.

„Na ja, klar du. Du hast doch selbst gesagt, dass du an dem Wochenende Zeit hast.“

Ja super, das habe ich doch ganz toll gemacht. Wenn mir jetzt nicht ganz schnell was einfiel, dann war ich verloren.

„Also Kurt, weißt du, ich kann so was gar nicht. Da gibt es doch extra Profis für, die so was ständig machen.“

Kurt wurde immer ernster. „Sag mal, willst du mich verarschen? Erzählst du mir nicht immer, dass diese Hochzeitsfotografen ihr Geld nicht wert sind und was für miese Bilder die produzieren?“

Ja klar sag ich das immer, aber wer konnte denn ahnen, dass ich mir damit selbst ins Knie schieße ‚Hey Django, bevor du wegreitest, die Schlinge um meinen Hals hat einen ganz miesen Knoten. Der geht bestimmt gleich von alleine auf. Kannst du da nicht eben einen Doppelknoten von machen? Sonst falle ich gleich vom Stuhl und mach mir die Hose schmutzig.‘

Ich sah noch wie Django mir zur Sicherheit noch eine Kugel verpassen wollte, als Kurt mich wachrüttelte. „Hallo Thomas, alles klar?“

„Ja Kurt, also weißt du, ich kann so was gar nicht. Da kommt bestimmt nichts Gutes bei raus.“

Kurt lief so langsam rot an, kein gutes Zeichen. „Erzähl mir doch kein vom Pferd. Egal was für Bilder ich dir zeige, immer hast du was zu meckern. ‚Kurt, das musst du aber so machen, Kurt, da wäre aber ein wenig mehr Platz besser gewesen, Kurt, hier hättest du mehr auf die Augen scharf stellen sollen, Kurt, ganz falsche Blende.‘ Also erzähl mir keinen Scheiß von wegen, das kannst du nicht. Sonst immer einen auf dicke Hose machen und jetzt will Herr Klugscheißer kneifen?“

Nun wurds mir aber echt zu blöd. Ich bin ja nicht verpflichtet die Hochzeit seiner Tochter zu fotografieren. Da hätte er ja wohl mal ein wenig früher fragen können.

Das wollte ich ihm gerade sagen, als Kurt mir zuvor kam. Er sprach ungewöhnlich ruhig. „Ich verstehe ja, wenn du vor solch einer Aufgabe ein wenig Respekt hast, aber ich stehe dir ja immer mit Rat zur Verfügung. Deine Frau meinte schon, du würdest dich über diese Aufgabe freuen und hast das eigentlich auch erwartet, dass ich dich frage. Finde ich schon ziemlich klasse, dass du extra nicht zu deiner Schwiegermutter gefahren bist. Deine Frau meint, das wäre für dich eigentlich ein heiliger Termin.“

Ich muss mit meiner Frau sprechen, ich muss unbedingt mit meiner Frau sprechen.

Kurt war noch nicht fertig. „Ich finde das auch eine ganz tolle Idee, dass ihr als Hochzeitsgeschenk das Fotoalbum fertig stellen wollt. Elvira wird sich ganz doll freuen.“

Meine Frau hat doch gesagt, dass sie mir die Sache mit dem vergessenen Hochzeitstag verziehen hat. Ich muss mit meiner Frau sprechen.

Kurt schaute mich an und fragte: „Was is denn nu, Thomas?“

Tja, ich hatte ja nun keine Chance mehr. “ Also gut, von mir aus. Wo und wann soll ich die Hochzeitspaarbilder denn machen?“

Kurt strahlte. „Das sagen wir dir noch. Für die Bilder in der Kirche musst du noch mit dem Pastor sprechen.“ Kirche, ich hör immer Kirche. „Beim Standesamt gehts um 10:00 Uhr los. Anschließend frühstücken wir hier bei uns im kleinen Kreis, da könntest du dann auch noch ein paar Bilder machen. Wenn du dann in der Kirche fertig bist…“ Da war schon wieder dieses Wort. „…dann solltest du schon beim Gasthof „Zum grünen Jäger“ auf uns warten. So ein paar Bilder, wie wir dann mit den Autos kommen, wären auch nicht schlecht. Ach ja, die Autos mit den Blumengestecken kannst du ja schon am Morgen fotografieren. Bei der Feier denke ich, soll es mal so bis 24:00 Uhr mit den Fotos reichen.“ Bitte? Bis 24:00 Uhr? Der brennt wohl. „Du weißt ja, danach sollte man lieber keine Fotos mehr machen, hihi.“

Hihi, wie witzig. „Also Kurt, ich dachte es beschränkt sich auf ein paar Brautpaarbilder?“

„Also deine Frau meinte aber….“

„Jaja schon gut, wenn meine Frau das so gesagt hat.“ Ich lief so langsam auch dunkelrot an.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich vor dem Fernseher saß und Sportschau schaute, als plötzlich meine Frau mit verschränkten Armen in der Tür stand. „Du kommst also nicht mit zu Mutti an dem Wochenende?“

„Nein Schatz, vergiss es. Viel Spaß mit den Kohroladen. Nun hau doch das Ding ins Tor du blinde Nuss….

„Und hast du nicht noch irgend etwas am heutigen Tag vergessen?“

„Öh, Bier, Chips, nö, ich hab an alles gedacht. Mönsch, den hätte ja wohl ne alte Oma mit’n Krückstock gehalten….“

„Blumen?“

„Wieso, ist jemand gestorben?“

*DAS*, war am letzten Wochenende definitiv die falsche Antwort gewesen. Ich hätts mir denken können, als sie anschließend meinte: ‚Macht doch nichts, Hauptsache du hast an dein Bier gedacht.‘

„Thomas, THOMAS. Sag mal, träumst du schon wieder?“ Kurt war ja noch da. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Kurt drehte sich um und meinte noch: „Einen genauen Ablaufplan erhältst du noch.“

Super, echt super gelaufen. *Ich* und eine Hochzeit fotografieren. Und dann auch noch die Hochzeit von Kurts Tochter. Hatte er was von kirchlicher Trauung gesagt? Boah ey, das ist ja wohl die Höchststrafe für mich schlechthin.

Ich glaub, ich geh erst Mal ein paar Blumen kaufen. Nein, ändern kann ich die Geschichte nicht mehr, aber ich brauche bestimmt jemanden, der mich nach der Hochzeit tröstet und meine Wunden versorgt. Die Suppe habe ich mir wohl sauber selbst eingebrockt.

Ich wollt wissen wie die Hochzeit gelaufen ist? Weiß ich doch heut noch nicht, aber ich erzähl’s euch, wenn sie vorbei ist. Wenn ich dann noch dazu in der Lage bin.

😉

Thomas Tremmel