Kurt 19 „Katzen und Tulpen“

Katzenvideo

Gibt es etwas auf Fotos, das ihr überhaupt nicht mögt? Ich meine, das Foto kann noch so gut sein, aber ihr lehnt es ab, weil eben dieses oder jenes mit auf dem Foto ist? Ihr wisst schon, was ich meine. Viele Frauen haben das z. B. bei Spinnen. Sie mögen keine Spinnen, und wenn sie eine Spinne auf dem Foto sehen, dann bekommen sie den totalen Schreianfall. Da kann die Spinne fotografisch noch so gut umgesetzt worden sein, sie mögen das Bild nicht.

Bei mir sind das zwei Dinge: Katzen und Tulpen.

Ich mag keine Katzen, besonders die von Kurt, weil die immer in meinen Garten scheißt. Katzen scheißen nicht in den Garten? Blablabla, Theorie und Praxis. Ihr müsst die Haufen ja nicht immer wegmachen. Jaja, ich weiß, wir haben ja selber eine Katze. Ich habe mich damals einfach von meiner Frau und meiner Tochter überreden lassen. Ist ja auch nicht ganz einfach, wenn man vorher um die Neuanschaffung eines Objektivs bittet.

Und ich bereue es ganz fürchterlich. Immer liegt das Mistvieh auf meinem Sessel und haart alles voll. Wenn sie etwas will, dann macht sie einen auf großen Schleimer, so mit miau, schnurr und anschmieg. Meine Frau und meine Tochter sind da immer total berührt von. Aber sobald sie hat, was sie will, dann schaut sie niemanden mehr mit dem Arsch an.

Manchmal sitzt sie mit einer anderen Katze auf unserer Terrasse. Ich habe dann immer das Gefühl, sie zeigt mit der Pfote auf uns und sagt zu der anderen Katze: „Das sind übrigens meine Futterspender und Katzenkloreiniger. Und dem Macker da vorne kotz ich noch mal auf seinen Sessel.“

Unsere Katze hat allerdings einen großen Intimfeind; unseren Staubsauger. Sie braucht das Ding nur aus der Ferne zu sehen, dann fängt sie schon an zu rennen. Ich hab mal das Kabel ganz ausgezogen und den Staubsauger neben ihren Schlafplatz gestellt. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sie sich sicher gefühlt hat und sich auf den Schlafplatz gelegt hat. Was sollte schon passieren? Der Sauger schien für sie tot zu sein und es war keiner von uns in der Nähe, der das Ding hätte einschalten können. Ich bin sicher, wenn ich ins Zimmer gekommen wäre, dann wäre die Katze sofort rausgerannt. Ich aber stand auf dem Flur…mit dem Stecker in der Hand. Der Staubsauger war natürlich eingeschaltet, es fehlte nur noch ein wenig Strom.

Ich muss sagen, die Katze hat mich dann doch sehr beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Katze aus dem Liegen so hoch springen und die Augen so weit aufreißen kann, nachdem ich den Stecker in die Steckdose gesteckt hatte. Kurzzeitig sah sie aus wie ein Rosettenmeerschweinchen.

Spart euch die Leserbriefe mit den Katzenhasseranfeindungen; die Katze hat zwei Tage später als Revanche auf meinen Sessel gekotzt.

Aber ich glaube, eine Sache ist deutlich geworden; ich mag keine Katzen.

Tulpen. Eigentlich habe ich nichts gegen Tulpen, aber ich mag keine Tulpenbilder. Jaja, macht von mir aus eine Psychoanalyse. Und nein, mein Vater ist kein holländischer Tulpenverkäufer, der mich mit Blumenzwiebeln missbraucht hat.

Es ist einfach so. Einige Dinge mag man, andere nicht, ohne dass man erklären kann warum. Und ich mag keine Tulpen und erst recht keine Tulpenbilder.

Und nun müsst ihr euch einfach folgendes Szenario vorstellen: Ich stand vor meiner Terrassentür und schaute nach draußen in meinen Garten, und was sah ich da? Das Katzenmistvieh von Kurt versuchte gerade wieder in meinen Beeten sein Geschäft zu machen. Aber haaaa. Von wegen. Ich hatte nämlich an der Stelle, an der sie immer zu uns rübergekommen ist, ein Stück Zaun gesetzt, und nun saß sie miauend davor und wusste nicht, was sie machen sollte.

Haha. Ich ging nach draußen zu der Katze, lehnte mich an den Zaun und schaute sie mit einem Lächeln an. „Na Mistvieh, es hat sich ausgeschissen.“ Die Katze schaute mich mit großen Augen an und miaute in einer Tour. Klasse. Der Sieg der Intelligenz über das gewöhnliche Tier. Sie saß mitten zwischen Kurts Tulpen und wusste wohl nicht, was sie machen sollte, und dann passierte das Unfassbare; sie machte ihren Haufen genau an der Stelle, wo sie saß, zwischen Kurts Tulpen. Jo mei, is denn heut scho Weihnachten? Ich lach mich schlapp, das ist ja besser als im Film. Ich wäre fast geplatzt vor Lachen und freute mich wie ein kleines Kind, versuchte aber möglichst keinen Krach zu machen, um das liebe kleine Kätzchen nicht bei seinem Geschäft zu stören und zu verschrecken. Geil, geil, geil, mitten in die Tulpen. Katzen und Tulpen, wer hätte gedacht, dass mich der Anblick mal so erfreut. Aber es kam noch besser:

Kurt kam durch die offene Terrassentür und blieb wie angewurzelt stehen, als er sah, was sein liebes Kätzchen tat. Endlich, dachte ich, endlich siehst du mal was dein liebes Kätzchen immer bei mir gemacht hat und was du immer verleugnet hast.

Kurt schaute mit starrem Blick auf seine Katze und meinte nur: „Das ist ja wohl der Hammer.“ Dann ging er rückwärts ganz leise und vorsichtig wieder ins Haus, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Wahnsinn, was für ein Tag. Jetzt holt er bestimmt die Schrotflinte, und dann hat das Katzenmistvieh seinen letzten Furz gepupst. Eigentlich schade, denn irgendwo war sie ja doch ganz niedlich. Ach ne, wenn ich recht überlege, eigentlich doch nicht schade.

Kurt kam wieder nach draußen, allerdings hatte er zu meiner Überraschung keine Schrotflinte in der Hand, sondern seine Kamera. Er hatte ein 200mm-Tele an der Kamera und bewegte sich ganz ruhig in Richtung der Katze. Während dessen murmelte er: „Das ja wohl voll der Hammer. Katze in Tulpen. Wahnsinn. Die schwarzweiße Katze in den bunten Tulpen. Erster Preis bei der nächsten Bezirksfotoschau, mindestens.“

Ich werd noch bekloppt. Da scheißt das Mistvieh in seine Tulpenbeete und er fotografiert das noch. Ja spinnt der denn total.

„Kurt.“ Keine Reaktion, also etwas lauter: „Kuuurt.“ Kurt schaute weiter durch den Sucher seiner Kamera und löste immer wieder aus. Er sagte in seinem säuerlichen Ton. „Kannst du vielleicht mal den Sabbel halten, sonst haut mir die Katze gleich ab.“

Ich fass es ja wohl nicht. Nun wurde ich noch lauter: „Aber Kurt, das Vieh scheißt zwischen deine Tulpen.“ Ich konnte einfach nicht fassen, dass ihm seine heiligen Tulpen auf einmal so egal waren. Allerdings war ich wohl etwas zu laut. Die Katze sprang mit einem Satz aus dem Beet und verschwand.

„Na super, Thomas“, Kurt war ziemlich sauer, „ganz toll gemacht. Nun habe ich mal gerade eine Handvoll Aufnahmen machen können, ohne zu sehen, was ich überhaupt eingestellt habe. Wieso kannst du nicht einfach den Sabbel halten.“

„Aber Kurt, die Katze hat doch….“

„Ja und? Ist das irgendetwas Unnatürliches?“

Der spinnt ja wohl. Wenn das unsere Katze gewesen wäre, dann wäre Kurt total ausgeflippt. Aber Kurt war noch nicht fertig.

„Kannst du dich noch daran erinnern, als wir im letzten Jahr mal gemeinsam joggen waren und du plötzlich im Wald so einen Druck bekommen hast? Was haste denn da gemacht?“

Äh, das muss man jetzt aber hier nicht unbedingt erzählen.

Kurt war immer noch nicht fertig: „Und wenn ich mich recht erinnere, dann hast du deinen Schiss und die Taschentücher nicht aufgesammelt und in eine Plastiktüte getan, oder.“

Ja super, danke für dieses Statement. Ganz toll. Kann ja wohl mal passieren. Nein, da gehen wir jetzt nicht genauer drauf ein.

Nun wurde ich aber auch sauer. „Weißt du was, Kurt, du hast recht. Von mir aus kann deine Katze deinen ganzen Garten mit Haufen zupflastern, mir doch egal.“

Kurt schaute mich mit finsteren Augen an und sagte: „Nein, bisher hat sie hier noch nie in den Garten gemacht, du musst sie wohl irgendwie erschreckt haben, so dass sie nicht mehr halten konnte.“

Ganz bestimmt habe ich sie erschreckt. Du hast noch nie Haufen bei dir im Garten gefunden, weil sie die immer bei mir gemacht hat. Aber ich sagte das gar nicht mehr, mir wurde es echt zu blöd, mich über eine Katze im Tulpenbeet zu unterhalten.

„Weißt du was Kurt, das werden bestimmt ganz tolle Bilder. Katze im Tulpenbeet, sensationell. Du solltest mal hier bei der Sparkasse nachfragen, ob du damit bei denen nicht eine Ausstellung machen kannst. ‚Katzen und Tulpen, eine fotografische Beziehung‘, das wird bestimmt der Hit.“

Kurt schaute mich plötzlich mit ganz großen Augen an und sagte mit ruhiger Stimme: „Meinst du echt?“

Au man, wie blöd kann man denn eigentlich sein. „Klar doch, frag die mal. Die von der Sparkasse werden bestimmt begeistert sein, wenn sie deine ‚Tulpen-Katzenbilder‘ sehen. Und wenn sie ja gesagt haben, dann sag mal Bescheid, dann halte ich die Eröffnungsrede.“

Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und ging zurück ins Haus. Mich hat auch gar nicht mehr interessiert, was Kurt noch zu sagen hatte. Also, wenn der die Einschläge nicht mehr hört, dann ist ihm auch nicht zu helfen. Dem Kurt traue ich sogar zu, dass der mit seinen Bildern in die Sparkasse rennt. Hoffentlich sagt er dann nicht, dass ich ihm dem Tipp gegeben habe, die kündigen mir ja alle meine Konten.

Das ist jetzt 4 Monate her. Nun stehe ich hier an meiner Haustür mit einer Einladungskarte, die mir Kurt vor 10 Minuten in die Hand gedrückt hat. Die Karte hatte folgenden Text:

Fotoausstellung in der Sparkasse Buxtehude

Katzen und Tulpen – eine fotografische Beziehung

Fotografische Eindrücke von Kurt 

Ausstellungseröffnung am 18. Juni

Eröffnungsrede: Kurts Nachbar Thomas

Womit habe ich das verdient? Das kann der mir doch nicht antun. Katzen und Tulpen, da kann ich doch keine Rede drüber halten. Auweia, was nun…

Nun stehe ich hier knapp einen Monat später am Rednerpult der Sparkasse Buxtehude und ca. 70 Leute warten auf meine Worte. Keine Chance hatte ich, um mich vor der Rede zu drücken. Schlaflose Nächte hat mir die Rede eingebracht. Irgendwann habe ich es dann mit Fassung genommen und gedacht, wird schon nicht so schlimm. Kurze Zeit später zeigte mir Kurt dann zum ersten Mal seine Katzen-Tulpenbilder. Meine Frau hat darauf alle Seile und Schlaftabletten aus dem Haus geräumt und immer meine Hand gehalten, wenn wir über eine Brücke gelaufen sind.

Die Bilder waren der absolute Horror, und da sollte ich ein paar nette Worte zu finden? Na Dankeschön. Mir war es echt ein Rätsel, wie der die Sparkassenleitung überredet hat, denn die waren doch nicht blind.

Erst heute habe ich gesehen, warum das kein Problem für Kurt war. Er stand mit dem Sparkassenleiter vor einem seiner Bilder und es fielen Worte wie „Backfokus“, „Speicherkartengeschwindigkeit“ und „Bokeh“. Nun fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, die kannten sich aus dem Pixel-Forum. Na super, dann wundert mich ja gar nichts mehr. Was braucht ein Bild Gestaltung und Aussage? Hauptsache, die Exif-Daten standen unter dem Bild.

„Hey, wird’s noch was?“ Kurt stieß mich von der Seite an.

Ich holte meine Rede aus der Tasche und legte sie auf das Pult. Als Überschrift stand dort:

Katzen und Tulpen

Eröffnungsrede zur Ausstellung von Kurt.

Sah doch schon mal gut aus. Das Problem war nur, dass der Rest des Zettels nur noch weiß war. Es stand kein einziges Wort mehr auf dem Blatt. Das ist jetzt aber nicht wirklich eine Überraschung für euch, oder? Was glaubt ihr denn, was mir zum Thema Katzen und Tulpen einfallen soll? Kennt ihr etwa irgendeine Verbindung zwischen Katzen und Tulpen außer dem Vorfall in Kurts Garten?

Lass dir doch irgendwas Positives einfallen, hat meine Frau gesagt. Ja toll, ganz super Vorschlag. Was soll denn mir als Katzen- und Tulpenhasser Positives einfallen? Wenn ich hier meine Gedanken zum Thema Katzen und Tulpen vorbringe, dann werde ich den Raum hier wohl kaum unverletzt verlassen. Was ich positiv finden würde, wäre z. B., wenn Kurts Katze seine Tulpen von unten betrachten würde, aber das behalte ich wohl besser für mich.

Na ja, so dachte ich dann halt, dass ich einfach ein wenig improvisiere, aber momentan war ich von dieser Idee nicht mehr so begeistert. Zu spät, auf geht’s:

„Liebe Gäste und Freunde von Katzen, Tulpen und der Fotografie. Auch ich darf sie recht herzlich begrüßen zur Ausstellung ‚Katzen und Tulpen‘. (*Schluck*, und nu?)

Wie die alten Ägypter schon sagten: Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch. (Oder waren’s die Hebräer?) Die Geschichte von Katzen und Tulpen ist eine Geschichte voller Geheimnisse. (Keine Ahnung, was das soll, habe ich mal bei einer Bindenwerbung gehört). Viele von Ihnen waren ja schon auf der Suche nach diesen Geheimnissen, denn sie standen vor den Bildern und wussten nicht, was das soll. Was zur Hölle soll eine Katze in einem Tulpenbeet bedeuten? Warum ist das Bild so unscharf? Warum sieht eigentlich ein Bild aus wie das andere?“

Oha, die Besucher fingen plötzlich an zu murmeln, und auch Kurts Gesichtsausdruck wurde immer dunkler. Okay, ich muss mich etwas bremsen.

„Es gab aber auch einige von ihnen, die voller Begeisterung vor den Bildern standen und sich über die Geschichte der Bilder unterhalten haben. Diese Besucher sind hinter das Geheimnis der Bilder gekommen, wovon ich gerade noch gesprochen habe.“

Das Murmeln wurde nicht gerade weniger, denn anscheinend wusste keiner, wovon ich eigentlich sprach. Kein Wunder, ich wusste es ja selber nicht. Auch Kurt machte einen Eindruck, als wenn ein großes Fragezeichen über seinem Kopf schwebte.

„Denken sie an den ‚Da Vinci-Code‘, wer von uns hätte schon diese Geheimnisse entschlüsseln können. Wem es jedoch gelang, dem offenbarte sich eine fantastische Geschichte. Und das steht Ihnen auch bei diesen Bildern bevor. Versuchen Sie, hinter das Geheimnis der Katzen und Tulpen zu kommen, und Sie werden erstaunt sein, welche Geschichten sich dahinter verbergen. Und wenn Sie nicht gleich drauf kommen, dann wird Ihnen Kurt sicher ein wenig bei der Lösung helfen.“

Ich schaute zu Kurt und sagte: „Oder, Kurt?“

Kurt machte einen etwas verwirrten Eindruck und sagte etwas stotternd: „Ja äh, klar äh.“

So, ich komm jetzt zum Schluss meiner Rede: „Bei der Suche nach den Geheimnissen dieser Ausstellung wünsche ich Ihnen viel Spaß.“

Die Leute applaudierten und keine Frage, ich hatte ihr Interesse für die Ausstellung geweckt. Gleichzeitig freute ich mich auf die Erklärungen von Kurt, wenn die Leute es nicht schaffen, hinter das Geheimnis der Bilder zu kommen. Und ich war fest überzeugt, dass er mich nie wieder eine Rede halten lassen würde.

Ich wollte gerade vom Pult treten, als sich noch eine ältere Dame meldete. Ich nickte ihr zu und sie fragte: „Sind sie denn bereits hinter das Geheimnis der Katzen- und Tulpen- Bilder gekommen?“

„Meine liebe Dame, ich bin so was wie der Wächter des Geheimnisses, und deshalb dürfen Sie von mir auch keine Hilfe erwarten.“

Damit habe ich quasi verhindert, dass Kurt mir den Ball zurückschiebt und ich etwas erklären muss, was ich genau so wenig kann wie er.

Aber da mache ich mir eigentlich gar keine Sorgen, denn es gibt so viele Bilder, wo kein Mensch weiß, was das eigentlich soll. Wo man davor steht und keine Aussage sieht, keine Gestaltung, keine Idee. Bilder, die so irgendwie gar nichts haben, die selbst technisch noch nicht mal überzeugen können. Und dann kommt von irgendwo der Künstler und erklärt uns den tieferen Sinn des Bildes. Und bevor man uns als Kunstbanausen outet, sagen wir lieber: „Ach so, ja, jetzt sehe ich das auch.“

Ich bin mir sicher, dem Kurt wird das auch gelingen.

😉

Thomas Tremmel