Kurt 20 „Kurt vom Mars“

Da stand er nun vor meiner Haustür. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches an ihm. Sandalen mit braunen Socken, Jeans-Shorts mit Gürtel und Hosenträger, ein grün-oranges Fußballtrikot irgendeines Provinzclubs, die neue digitale Caniso mit 17-300mm Suppenzoom und (man staune) nur einem UV-Filter vor der Linse.

Wäre da nicht diese komische Kopfbedeckung aus Alu-Folie, wäre es der ganz normale Kurt, aber dieses Alu-Hütchen konnte nur wieder irgendwas Beknacktes bedeuten.

„Na Kurt, was gibt’s?“ Kurt wirkte sehr nervös, sah sich immer wieder um und schaute auch mal nach oben.

„Ich hab’s gewusst. Ich hab’s doch immer gewusst“, flüsterte Kurt.

„Was hast du gewusst?“

„Die Digitalfotografie, Thomas, die Digitalfotografie. Sie wurde von Außerirdischen erfunden.“

„Äh, bitte?“

Kurt kam etwas näher und sagte: „Die Digitalfotografie wurde von Außerirdischen erfunden, um uns auszuspionieren …“ Kurt schaute nochmal schräg zum Himmel, hob die Hand zum Mund, um dahinter zu sagen: „… und um uns zu missbrauchen.“ Dann holte er eine Zeitschrift aus seiner hinteren Hosentasche, die mir erst gar nicht aufgefallen war, und hielt mir die erste Seite direkt vors Gesicht.

Es war die Zeitschrift „Nichts als die Wahrheit“. Ah nee, so ein UFO- und Weltuntergangsspinnerblatt. Kennt ihr bestimmt aus dem Fernsehen. Gibt es drüben in den USA an jedem Kiosk. Da stehen dann solche Geschichten drin wie, Elvis ist gar nicht tot, Justin Bieber kommt vom Mars, übermorgen geht die Welt unter und Batman hat die Mauser. Hier hieß die Schlagzeile nun:

Titanic im Zwischenahner Meer gesichtet

Augenzeuge Karsten B. aus O.: „Sie lieferte sich ein Wettrennen mit dem fliegenden Holländer.“

Kurt sah meinen verständnislosen Blick, schaute dann selbst auf die Zeitung, schüttelte mit dem Kopf und präsentierte dann die Rückseite der Zeitung. Dort stand dann:

Retten Sie die Menschheit, fotografieren Sie wieder analog.

Au man, und so was am frühen Morgen, ich hatte noch nicht mal einen Kaffee. „Kurt, was soll das?“

„Steht alles auf Seite 12. Thomas, das ist echt der Hammer. Die Außerirdischen wollen uns ausspionieren. Ich mein, das ist ja nichts Neues, aber wie die das machen, das ist echt superschlau.“

„Wie jetzt, uns ausspionieren. Wer will uns denn ausspionieren?“

„Thomas, du kriegst aber auch gar nichts mit. Dass die Außerirdischen uns ausspionieren wollen, weiß doch jedes Kind. Nur war halt nie klar, wie die das machen. Die können doch nicht so einfach hier auf der Erde landen und mit ihren Messgeräten rumfuchteln. Und wie sollen sie denn Fotos machen, wenn sie da nur im Weltall rumfliegen. Viel zu weit weg.“

„Und dann haben sie die Digitalfotografie erfunden?“

„Ganz genau, Thomas, ganz genau. Sie brauchen jemand, der für sie Fotos auf der Erde macht und diese zu ihren UFOs sendet. Das geht natürlich nicht mit der Analogfotografie, und so erfanden sie die Digitalfotografie. Überhaupt kein Problem dann, die Bilder weiter zu versenden. Aber sie mussten die Kameras natürlich etwas an ihre Empfangsstation angleichen.“

„Ach was? Wo haben sie denn die Antenne versteckt?“

„Abwarten, immer abwarten. Der Chip in der Empfangsstation war deutlich kleiner als der Verschluss einer Kleinbildkamera, deshalb musste der Chip in der digitalen Spiegelreflex um etwa den Faktor 1,6 verkleinert werden. Wir kennen das dann unter dem Cropfaktor.“

Der Kerl macht mich fertig.

„Aber es geht noch weiter, Thomas. Die Bilder müssen immer über unterschiedliche Frequenzen gesendet werden, sonst könnte das irgendeiner Funkstation auf der Erde mal auffallen, und das machen die über die Brennweite.“

„Wie jetzt, über die Brennweite? Ich funke mit meinem 135er Tele zum Mars?“

„Nein nein, das funktioniert eben nicht, da es ja nur eine Frequenz hat, eben die 135. Die Außerirdischen brauchen aber den Frequenzbereich von 28 bis 200, und so erfanden sie schon zu Analogzeiten die Superzooms, damit das später nicht so auffällt. Ganz vorsichtig fingen sie mit den 35-70mm Zooms an, damit die Menschheit sich daran gewöhnt. Ihnen war klar, wenn sie gleich ein 17-300mm auf die Erde schmeißen, dann kauft das kein Mensch, weil man vor der grauseligen Qualität Angst hätte, aber heute haben sich die Leute schon dran gewöhnt und finden ihre Superzooms einfach nur fantastisch. Die Außerirdischen waren von dem schnellen Erfolg wohl selbst überrascht und bauen jetzt schon 17-300mm- Objektive. Das erweitert nochmal ihren Frequenzbereich.“

Kurt zeigte auf sein Objektiv und drehte mit den Augen.

„Zu guter Letzt muss das Signal noch verstärkt werden, und das erreichen sie durch den so genannten UV-Filter.“

„Bitte?“

„Jaja, so ist das. Sagst du nicht selbst immer, das wäre das unsinnigste Zubehörteil überhaupt?“

„Ja klar, braucht kein Schwein.“

„Eben, und trotzdem nutzen gerade viele Anfänger einen UV-Filter. Macht doch keinen Sinn, oder?“

„Ja, macht überhaupt keinen Sinn. Und warum kaufen sie den trotzdem, bzw. wie erreichen die Außerirdischen, dass  UV-Filter gekauft werden?“

„Ja, das war ein Problem. Sie brauchten unbedingt den UV-Filter zur Signalverstärkung, aber wie soll man jemanden dazu bekommen, einen UV-Schutz vor seine Linsen zu schrauben, die schon alles an UV-Licht absorbieren. Und da alle Objektive mit Schutzdeckel und größtenteils mit Gegenlichtblende ausgeliefert werden, war das Argument mit dem Objektivschutz natürlich auch sehr dünn. Ok, wenn man zum Fotografieren auf der Stoßstange eines Autos bei der Rallye Paris-Dakar sitzt, dann macht das evtl. Sinn, aber wer macht das schon? Und dann bringt ja jede Luft-Glasfläche auch noch Qualitätseinbußen. Also ein echtes Problem.“

Der Macker nervt mit seinen Klugscheißerweisheiten. „Ja Kurt, das ist mir alles nicht neu. Trotzdem hat fast jeder Anfänger einen UV-Filter vor der Linse. Wie bekommen die Außerirdischen denn die Leute zum Kaufen?“

„Es gab da nur eine Lösung. Marsianische Hypnose. In die Schachteln der Filter sind kleine Programme eingebaut, die, wenn man dicht genug dran ist, kleine Botschaften in dein Unterbewusstsein senden. Diese Botschaft lautet immer: ‚Kauf mich, schraub mich vor dein Objektiv, ich will es schützen.‘ Und wer steht immer lang genug vor den Filtern im Geschäft, weil sie sich nicht entscheiden können, was sie brauchen? Die Anfänger. Diese Nähe und der Zeitfaktor reichen dann aus, um die Botschaft zu übermitteln.“

„Das steht alles in diesem Blatt?“

„Alles schwarz auf weiß.“

Ich werd noch bekloppt. Wie kann man denn nur auf so einen Blödsinn kommen. „Hmm, also Kurt, ich hab da ja noch so meine Zweifel. Also, wenn ich dich richtig verstehe, dann werden die Bilder nur von digitalen Spiegelreflexkameras mit Cropfaktor, einem Suppenzoom von mindestens 28-200mm und einem UV-Filter vorne drauf übertragen. Versteh ich nicht, warum denn nicht bei anderen Kameras?“

„Ist doch klar. Die Außerirdischen brauchen hauptsächlich irgendwelche Urlaubsbilder mit Landschaften, damit sie die Erde kennen lernen und verschiedene Menschenfotos, möglichst mit der ganzen Person und nicht irgendwelche gekonnten Porträts. Und wer macht solche Fotos?“

„Äh, na ja, hauptsächlich Anfänger.“

„Siehst du, Thomas, und womit fotografieren solche Anfänger?“

„Öh, na ja, unter anderem mit einer digitalen Spiegelreflexkamera mit Cropfaktor, Suppenzoom und UV-Filter.“

Kurt grinste triumphierend und sagte: „Siehst du, und das sind schon mehr Bilder, als die da oben verarbeiten können, deshalb haben sie die Kriterien auch so stark eingeschränkt. Die Bilder von Kompaktknipsern sind wahrscheinlich oft zu schlecht in der Qualität und die von Profis zu sehr am Thema vorbei. Fotografiert ja auch nicht jeder Anfänger mit dieser Kombination, aber die damit fotografieren, reichen aus. Soll ja nicht zu auffällig sein.“

Der spinnt doch total. „Also Kurt, wenn ich das richtig verstehe, dann brauchen sie die Landschaftsbilder, um die Erde kennen zu lernen,…“

„Ganz genau, die machen sich daraus einen detaillierten Angriffsplan.“

„…und wozu brauchen sie die Menschenbilder? Und was soll diese bescheuerte Mütze aus Alupapier?“

Kurt wurde etwas verärgert: „Du bist aber auch echt zu ahnungslos. Weißt du, ob die nicht vielleicht auch schon unsere Gehirne manipulieren können? Die Aluhaube lässt keine Strahlen durch, habe ich mal in einem Film gesehen. So quasi der UV-Filter fürs Gehirn.“

„Aha, und die Menschenbilder?“

Kurt kam wieder etwas näher und flüsterte nun noch stärker. „Das ist ja das Schrecklichste an der Geschichte. Wenn du mit dieser Ausrüstungskombination jemanden fotografierst, dann stellst du gleichzeitig eine Verbindung zwischen dem Model und dem UFO her, und die Außerirdischen können denjenigen, der fotografiert wurde in ihr Raumschiff beamen. Und nun kommt’s; Die Zeitschrift „Nichts als die Wahrheit“ schreibt, dass bisher nur Männer so ungefähr in unserem Alter entführt wurden, und dass man sie sexuell missbraucht hat.“

Der Kerl schafft mich. „Ist nicht wahr Kurt, ist ja schrecklich.“

In diesem Moment rief Kurts Else von seinem Haus drüben zu uns rüber: „Kuuuuurt, Essen is ferdich. Seh zu, das du rübäääh kommst.“

„Jaja, ich komm ja gleich“, rief Kurt verärgert. „Hier in der Zeitschrift stehen zwei Augenzeugenberichte, soll ich dir die mal vorlesen?“

„Neinnein Kurt, ist nicht notwendig. Davon habe ich schon so vieel Berichte gelesen, das ist doch ein alter Hut.“

Kurte schaute mich sehr erstaunt an. „Ach was, du hast davon gehört?“

„Na ja, ich war doch letztens in den Staaten, und da ist das schon seit Jahren bekannt. Es stimmt tatsächlich, die Außerirdischen entführen wohl ausschließlich Männer so  in unserem Alter und halten sie dann für eine Woche fest.“

Kurt wirkte jetzt äußerst interessiert. Zwischendurch rief Else immer wieder. Sie stand jetzt im Vorgarten und zupfte ein wenig Unkraut (und an ihrer rosa Leggins) (nein, wo sie kratzt, sag ich besser nicht).

„Sag mal, Thomas, stand da auch, wie die Außerirdischen aussehen und was da so ablief?“

„Ja klar. Die Außerirdischen wollen ja hauptsächlich Informationen über das Leben auf der Erde. Sie können ihr Äußeres verändern und die Augenzeugen meinten, die würden alle wie so eine Art Pamela Anderson aussehen.“

Kurts Augen wurden rießengroß. „Waa…aa..s, wie Pam…Pam…Pamela Anderson?“

„Jaja, wie gesagt, es geht ihnen ja um Informationen, und mit diesem Trick wollen sie ihre Opfer gefügig machen. Muss echt schrecklich sein, wenn man dann zum Sex gezwungen wird. Die armen Männer, eine ganze Woche müssen die das aushalten, nur alleine mit einem Haufen Pamela Andersons.“

Kurt schluckte einmal ganz tief. Dann schauter er rüber zu seiner Else. Sie kniete gerade zwischen den Beeten. Ihr gewaltiges Hinterteil verdeckte das halbe Beet und brachte die Kittelschürze fast zum Platzen. Mit einer Hand zupfte sie Unkraut, mit der anderen kratzte sie sich am Po. Gleichzeitig rief sie wieder, ohne zu uns rüberzuschauen: „Kurti, kommst du nun endlich zum Essen. Ich kann die Steckrüben nicht den ganzen Tag warm halten.“

Kurt sah mich an, nahm dann ganz hektisch seine Kamera vom Hals und drückte sie mir in die Hand. „Fotografier mich, los fotografier mich.“

„Aber Kurt, die Gefahr mit den Außerirdischen?“

„Man muss auch Opfer bringen, wenn es um den Erhalt unserer Welt geht. Los mach endlich, und spar nicht mit Speicher.“

Ich machte reichlich Bilder und konnte ein Lachen nur schwer unterdrücken. Ich denke mal, er kommt so in einer Woche wieder, enttäuscht davon, dass nichts passiert ist. Ich werde ihm dann erzählen, dass das wohl an seiner Alu-Kappe lag, die er während der Aufnahmen trug und werde ihn dann wohl nochmal fotografieren müssen.

Also, denkt das nächste Mal daran, eine Mütze aus Alupapier zu tragen, wenn ihr vor dem Filterregal steht und zoomt nicht so viel hin und her, das erleichtert die Frequenzsuche für die grünen Männchen ungemein. Oder tragt einen Button mit dem Slogan: Rettet die Welt, fotografiert analog.

Wer weiß, ob da an der Geschichte nicht doch was Wahres dran ist?

Huch, lief da nicht gerade Elvis am Fenster vorbei?

😉

Thomas Tremmel