Kurt 27 „EL Kurti“

Junge, Junge, das war knapp. Die Schlagzeile hätte ich lesen wollen:

„Amateurfotograf erschlägt sich mit Kamera“.

Ach, Ihr wisst ja noch gar nicht, um was es geht. Dass es um meinen Nachbarn Kurt geht, brauche ich nicht zu erwähnen, oder? Ok, wo fange ich an? Am besten bei Kowalski. Kowalski ist so ein Spinner aus Kurts Jodelgruppe und hat sich nun auch eine Fotoausrüstung zugelegt. Stolz wie Oskar hat er vor Kurt geprahlt, welch kurze Auslöseverzögerung seine neue Kamera hat und dass er sein Motiv schon im Kasten hat, wenn Kurts Kamera noch rechnet.

Ihr könnt euch ja vorstellen, dass Kurt das auf 180 gebracht hat. Er konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und fing an, seine Ausrüstung aufzurüsten. Schnellere Speicherkarte, Objektiv mit schnellerem Autofokus usw. Er hat nur nicht damit gerechnet, dass Kowalski das auch macht. Und nun begann ein munteres Wettrüsten. Kurt hat mich sogar gefragt, ob man die Lagerung des Schwingspiegels in der Kamera fetten könnte, damit der schneller hochklappt.

Nein, nein, ich hab’s mir verkniffen, so fies bin ich nun auch nicht.

Na ja, nachdem sie sich dann gegenseitig ihre technischen Daten um die Ohren gehauen haben, musste ein Wettstreit her, um zu zeigen, wer der schnellere Fotograf wäre. Kurt hatte nämlich den Nachteil, dass Kowalskis Kamera definitiv einen Tick schneller war. Das Geld für eine neue Kamera hat Kurts Else nicht freigegeben, und so meinte er zu Kowalski: „Was nützt denn die schnellste Kamera, wenn der Fotograf  selber ein Lahmarsch ist und bis zum Drücken des Auslösers eine Ewigkeit braucht.“

Tja, das Streitgespräch, das darauf folgte, erspare ich euch. Auf jeden Fall wurde in diesem Gespräch der Wettstreit beschlossen. Dieser sollte folgendermaßen ablaufen:

Die Kontrahenten stellen sich im Abstand von 100 Metern gegenüber auf.

Neben sich haben sie einen Stuhl, auf dem eine Vase mit Tulpen steht (wie kann man nur so eine bescheuerte Idee haben).

Die Kamera wird um den Hals gehängt. Sie ist allerdings noch nicht eingeschaltet und die Speicherkarte muss auch noch gesteckt werden.

Das Startzeichen gebe ich, indem ich in die Hände klatsche. Sorry, aber Ihr habt doch wohl nicht geglaubt, dass ich mir diesen Spaß entgehen lasse.

Beim Startzeichen dürfen die Kontrahenten loslaufen, ihre Speicherkarte laden, die Kameras einschalten und fokussieren. Es gilt, möglichst schnell die Tulpenvase in einem Abstand von 3 Metern zu fotografieren. Der Abstand ist durch einen Kreidestrich gekennzeichnet.

Ich klatschte in die Hände und auf ging’s. Die Kontrahenten hatten unterschiedliche Strategien. Kowalski machte einen schlecht vorbereiteten und nervösen Eindruck. Er blieb in seiner Startposition stehen und fummelte die Karte umständlich in den Kameraslot. Kurt schien seine Variante schon ein paar mal trainiert zu haben. Er lief sofort los und steckte die Karte zielsicher in den Slot. Während des Laufens stellte er den Powerschalter auf ON und führte den Sucher zum Auge. Mit der Kamera vorm Gesicht stürmte er auf die neben Kowalski stehende Tulpenvase zu.

Kowalski fummelte immer noch am Kameraslot, und in seinen Augen war abzulesen, dass er sich der Niederlage schon bewusst war. Kurt lief weiter in einem überraschenden Tempo und hatte den Auslöser wohl schon halb zur Scharfstellung durchgedrückt, da passierte das Unglück. Kurt hatte seinen Blick nur noch auf die Tulpen im Sucher gerichtet und merkte gar nicht, dass er immer mehr nach rechts in Richtung Büsche abwich. Mit seinem Arm streifte er bereits einen Holunder und einen Feuerdorn, dann kam die Weide. Sein Kameragurt verfing sich in einem dicken Ast und brachte Kurt jäh zum Stehen. Die Kamera schlug ihm fürchterlich ins Gesicht und es riss ihm die Beine vom Boden. Wie ein frisch gehängter Pferdedieb hing er mit seinem Kameragurt am Weidenast. Else schlug die Hände vors Gesicht, ich lief sofort auf Kurt zu (jaja, erst habe ich natürlich das Lachen runterwürgen müssen) und befreite ihn aus der misslichen Lage. Sein Auge schwoll schon mächtig an, und in der Wange konnte man die Abdrücke der Menü-Buttons sehen.

Kurt fasste sich an den Hals und fing an zu husten. Er hatte schmerzhaft aussehende Streifen vom Kameragurt am Hals. Aber das war nicht der größte Schmerz. Der größte Schmerz kam aus der Richtung seiner Tulpenvase in Form eines *Klicks* und eines „Gewonnen“. Ich glaub, das hämische Grinsen von Kowalski hat sich bei Kurt wie ein Brandzeichen eingebrannt. Ohne ein Wort stand er auf und ging ins Haus.

Das war letzte Woche, und seitdem habe ich Kurt nicht mehr….

Ding Dong

Ich hätt einfach das Maul halten sollen. Ich öffnete die Tür (knarrten da etwa die Scharniere?). Ich war mir erst nicht ganz sicher, wer da vor mit stand. Jemand lehnte an einem meiner Eingangspfosten mit überkreuzten Beinen und einem riesigen Sombrero auf dem Kopf. Ich konnte das Gesicht nicht erkennen, da Sombrero und Kopf nach unten geneigt waren. Unter dem Sombrero kamen ein paar Rauchwolken einer Zigarette hervor. Erst jetzt hob sich der Sombrero mit dem darunter steckenden Kopf, und zum Vorschein kam…..Kurt.

Ich fass es nicht. Mein Mund wollte gar nicht mehr zugehen, aber ich brachte dann doch ein „Kurt?“ hervor.

Kurt lächelte verstohlen und sagte mit ruhiger Stimme: „EL Kurti, bitte.“

Meine Verwunderung wechselte so langsam in Erheiterung. Kurt sah, na ja, ziemlich albern und komisch aus. Ne, sagen wir es anders, er sah ziemlich bescheuert aus. Und dann diese Zigarette im Mund.

„Kurt, seit wann rauchst du denn?“ Kurt nahm die Zigarette aus dem Mund und schaute sie angewidert an. „Gar nicht, ich dachte nur, das passt zum Outfit.“ Er schmiss die Zigarette auf den Boden (*meinen* Boden) und drückte sie mit dem Fuß aus.

Erst jetzt sah ich den Gürtel um Kurts Körper. „Was’n das?“

Kurt strahlte. „Kowalski rauche ich in der Pfeife. Beim Rückkampf hat der keine Chance.“

Kurt hatte so etwas wie eine Art Pistolengürtel um. Ihr wisst schon, diese Dinger aus’m Wilden Westen, mit Colt und Patronen. Nur hatte Kurt keinen Colt im Holster, sondern seine Kamera.

Kurt präsentierte mir seine Neuanschaffung. „Scheiß auf Kameragurt. Ich sage nur, Kamerahandschlaufe. Pass auf.“

Kurt stellte sich breitbeinig vor mich hin, hielt die rechte Hand über die Kamera und sagte: „Los, klatsch in die Hände.“

Na ja, von mir aus. *Klatsch*

Kurts Hand ging blitzschnell zur Kamera und schlupfte geschmeidig in die Kamerahandschlaufe. In einer weiteren schnellen Bewegung zog er die Kamera aus dem Holster und schob schon während der Bewegung mit dem Daumen den Powerschalter auf ON. In der nächsten Sekunde sah ich auch schon in die Frontlinse seines Objektivs und Kurts Finger schwebte über dem Auslöser.

Kurts Augen waren zu Schlitzen mutiert, und er sagte: „Lächle, Fremder.“

Ich lächelte gequält und in diesem Moment machte es auch schon *Klick*.

„Kowalski hat noch nicht mal die Hand an seiner Kamera, da habe ich schon seine Tulpen fotografiert. Er hat keine Chance.“

Kurt pustete den Staub von der Frontlinse und steckte den Colt, äh ich meine die Kamera, wieder in den Holster.

Hatte ich eigentlich schon erwähnt, wie beknackt der Sombrero…..hatte ich? Ok.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte sich Kurt um und ging zurück zum Haus.

Ich überlegte kurz, ob ich’s ihm sage oder nicht. Na ja, nach der Beschreibung in seiner letzten Geschichte (siehe Kurt 26) war das wohl mein Naturell, ich konnte also gar nicht anders. „Du Kurt“, Kurt blieb stehen und drehte sich um, „der Kowalski hat übrigens seine Fotoausrüstung vorgestern verkauft und sich eine Espresso-Maschine gekauft.“

Die Serienfunktion seiner Kamera macht zum Glück nur Serienaufnahmen. Wären es klitzekleine Kugeln gewesen, dann hätte ich wahrscheinlich ausgesehen wie ein Sieb.

EL Kurti, was ich hier so erlebe.

😉

Thomas Tremmel