Kurt 26 „Kurts Geschichte“

Irgendetwas war anders.

Ich stand in meiner Haustür und Kurt stand vor mir (das Gedingeldongel der Klingel erspare ich euch diesmal). Er hatte eine lila Jogginghose an, Hauslatschen und seine grüne Jägerstrickjacke mit diesen komischen Hirschknöpfen. Da die Strickjacke nur unten zugeknöpft war, konnte man sein weißes Unterhemd sehen, welches so schmuddelig war, damit hätte ich nicht mal mehr meine Schuhe geputzt.

Aber irgendetwas war anders.

Ich bildete mir ein, die Vögel hätten das auch gemerkt, denn es war nicht ein Piep zu hören.

Was war anders?

Er stand genauso vor mir, wie er es immer tat, wenn er sich über etwas aufregte oder rumjammerte. Nein, tat er nicht, denn …. er lächelte wie ein Honigkuchenpferd.

DAS war anders. Er lächelte von einer Wange zur anderen, als wenn er einen Kleiderbügel verschluckt hätte.

DAS war nicht normal.

„Moin Thomas, schöner Tag heute, oder?“ Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als wenn er etwas verstecken würde. Ich war arg misstrauisch. Erst recht, als ich zu seinem Haus rübersah und eine Bewegung der Gardine am Küchenfenster sehen konnte. Ich war mir nicht sicher, aber ich meinte, dahinter seine Frau gesehen zu haben, und sie grinste auch.

Ich hatte kein gutes Gefühl. „Kurt, was gibt’s?“

Kurt wippte auf den Füßen so komisch hin und her, er musste an irgendetwas eine große Freude haben, dann sagte er: „Thomas, mein lieber Thomas, ich brauche da doch mal deine Hilfe. Ich habe da eine Geschichte geschrieben, aber ich hänge fest. Ich dachte mir, dass du dir das mal durchliest und evtl. einen Tipp für mich hast, wie ich da weitermachen könnte.“

Geschichte? „Was für ’ne Geschichte?“

Er holte ein paar Seiten hinter seinem Rücken hervor und hielt sie mir direkt vor die Nase. Sein Lächeln wurde noch breiter, und er sagte in sehr eindringlichem Ton: „DIESE HIER.“

Der spinnt doch. „Okay, ich werd’s mir später durchlesen und dir Bescheid geben.“

Kurt machte einen erschreckten Eindruck. „Oh nein, es ist nur eine kleine Kurzgeschichte, und ich möchte damit weiterkommen. Die Muse hat mich jetzt geküsst und später ist sie vielleicht nicht mehr da.“

Die Muse? Ich sag’s doch, der spinnt. „Na gut, ich les mal eben drüber.“

Und ich las.

Der arme Nachbar

Eine Geschichte von Kurt.

Es war einmal ein semiprofessioneller Amateurfotograf. Nennen wir ihn der einfach halber Kurt. (Ach ne) Kurt hatte große Freude an der Fotografie. Er hatte viel Erfolg mit seinen Bildern und war durch seine Ausstellungen im ganzen Land sehr geschätzt. Auch in diversen Fotocommunities war er mit seinen Bildern immer auf den vordersten Rängen und hatte viele Sterne (12463), worauf er aber keinen großen Wert legte (ein Bild gelöscht, sonst wären es 12468 Sterne). Auch durch seine diversen Wettbewerbserfolge, wie z. B. der 4. Platz beim Fotowettbewerb „Das schönste Katzenbild im Dorf“, verlor er nie den Boden unter den Füßen und wusste, dass auch er mal ganz klein angefangen hat.

Kurt hätte sicherlich erfolgreich in das Profilager wechseln können, (unbedingt) aber es ging ihm immer nur um den Spaß an der Fotografie. Er war erfolgreich, beliebt und …er war gut. Kurt ging es nie um eine technische Perfektion. Kurt fotografierte mit Gefühl, mit Inspiration und Kreativität. Zu viel Technik ist nur belastend und lässt langweilige Bilder entstehen, Kurt wurde jedoch für seine schönen Bilder geschätzt.

Bis auf einen, seinen Nachbarn. Nennen wir ihn der einfach halber Thomas (was’n Zufall). Thomas war krank. Er war ein sehr ehrgeiziger Hobbyfotograf und versuchte, fehlendes Gefühl und verkümmerte Kreativität durch die Ansammlung von übertriebender Technik und überflüssigen Bildgestaltungsregeln wett zu machen. Aber seine Bilder waren ohne Leben, ohne Emotionen. Er kam über den Status eines Erinnerungsfotografen nicht hinaus, und sein Neid auf die Bilder von Kurt war ganz, ganz schlimm. Da sich keine Verbesserung in seinen Bildern zeigte, obwohl er viele Bücher studierte und sicherlich technisch ein wenig drauf hatte, machte er alles andere für seinen Misserfolg verantwortlich. Selbstkritik war für ihn ein Fremdwort, und so suchte er in der Welt der Fotografie nach Schuldigen und machte sich über alles lustig, womit er Probleme hatte. Das sah dann so aus:

Gab es eine neue Kamera oder einen nützlichen Fotofilter, so zog er all das ins Lächerliche, was für ihn aus Unkenntnis überflüssig war oder wovon er keine Ahnung hatte.

Verstand er aufgrund seiner eingeschränkten Auffassungsgabe ein Bild nicht, dann war das für ihn pauschal ein schlechtes Bild und die Erklärungsversuche der Autoren nur Ausreden. Weil er unfähig war, die tiefere Aussage in einigen Bildern zu erkennen, stempelte er dies als Versuch nach Moderner Kunst ab und bezeichnete solche Bilder als visuellen Schrott.

Fotografierte jemand nur, um Erinnerungen oder Emotionen festzuhalten und machte das dann sogar auch noch besser als er selber, dann zeigte er mit dem Finger auf diese Leute und beschimpfte sie als Knipser oder machte sie zu Außerirdischen.

Da er sich aufgrund seiner Minderwertigkeitskomplexe nicht unterordnen konnte, machte er sich über sinnvolle Vereinssatzungen lächerlich.

Weil er durch seine Art sehr zurückgezogen lebte, machte er sich über alles lustig, was mit freudiger Geselligkeit zu tun hatte. Das konnte die lustige Fotobusfahrt sein oder auch der gesellige Diaabend. Letzteren verabscheute er, weil er nicht mal in der Lage war, während eines Familienurlaubs halbwegs brauchbare Erinnerungsaufnahmen zu machen.

Da er für seine Bilder nur negative Kommentare erhielt, war es für ihn nur schwer mit anzusehen, wie andere Fotografen gelobt wurden. Deshalb drehte er den Spieß einfach um und machte aus dem sehr positiven konstruktiven Kommentar „Schönes Bild“ das Gegenteil und behauptete überall, das wäre das Gleiche wie „Ab in die Tonne“. Nur so war es für ihn überhaupt möglich, die guten Kommentare, die andere Fotografen erhielten, auch nur halbwegs zu ertragen.

Gab es mal nichts aus fotografischer Sicht, worüber er lästern konnte, suchte er sich einfach andere Dinge wie z. B. das Schmücken des Hauses zu Feiertagen, das gesundheitlich fördernde Nordic-Walking oder bunte, freudestrahlende Tulpen aus. Kaum zu glauben, aber da er Probleme mit der Freude anderer Menschen hatte, lästerte er sogar über die Bescherung zu Weihnachten. Und noch schlimmer, weil ihm Gefühle fremd waren, konnte er keine Beziehung zu einem schmusenden Tier haben und machte sich über Katzenbesitzer lustig.

Und dann kam etwas, was ihm fast den Todesstoß versetzte. Eine Ansammlung netter Amateurfotografen, die sich Freundlichkeiten über ihre Bilder austauschten, Spaß an ihren und anderen Bildern hatten, die böse Worte aus diesen Gruppen fernhielten. Orte der Harmonie, der Bescheidenheit, der Ehrlichkeit und der Freude; Fotocommunities.

Diese Gruppen waren für ihn un-er-träg-lich, und er versuchte dort einzudringen, alles schlecht zu machen, jedes Bild negativ zu beurteilen, aber er prallte ab. Die User ignorierten ihn und hatten weiterhin viel Freude an ihren Bildern.

Das war zu viel für ihn, und ich befürchte, er wird sich wohl als nächstes mit seinen Kameragurt aufhängen.

Tja, und nun kommt der Kurt (man nannte ihn auch „Den Guten“) ins Spiel. Ihm tat sein Nachbar Leid. Aber so richtig leid. Kurt (der Gute) musste hier hilfreich einschreiten, aber wie? Es war natürlich nicht einfach, einem so verbohrten, neidvollen und schlecht fotografierenden Menschen zu helfen, aber dann kam Kurt die Idee. Er…..

Hier war die Geschichte zu Ende.

Ich merkte, wie mein Hals dicker wurde, mir das Blut ins Gesicht schoss und meine Augen zu kleinen messerartigen Schlitzen zusammenliefen. Mein Blick wanderte von der Geschichte zu Kurts Gesicht, und es war kaum zu glauben, aber sein Grinsen wurde noch breiter. Ich schaute zum Küchenfenster von Kurts Haus und sah, wie die Gardine merkwürdig zuckte. Ein klares Zeichen dafür, dass dahinter jemand stand und sich an der Gardine festhielt, während er sich vor Lachen fast in die Hose machte.

„Was meinst du, Thomas, irgendeine Idee, wie die Geschichte weitergehen könnte?“

Ja klar, dachte ich mit vor Zorn gefalteter Stirn, schreib doch einfach, dass du ihm aus therapeutischer Sicht dein Gesicht zur Verfügung stellst, damit er daran seine Aggressionen mit den Fäusten loswerden kann.

Zähneknirschend sagte ich jedoch: „Aber klar doch, schreib doch einfach, dass du ihn für den Rest des Lebens in Ruhe gelassen hast, das wäre für ihn bestimmt die größte Hilfe.“

Kurt schaute verschmitzt und sagte: „Ach Thomas, der arme Mann ist doch krank, ein Psycho sozusagen. Da muss man doch helfen, unter lieben Nachbarn.“

„Wie wär’s denn, wenn die beiden zusammen Kurts Bilder verbrennen. Dann hätte dieser Thomas bestimmt auch mal eine große Freude.“

Kurt winkte ab. „Thomas, mien Jung, du nimmst das doch wohl nicht persönlich? Du weißt doch, wie das bei solchen Geschichten ist. Ähnlichkeiten sind rein zufällig.“

Sorry, aber mir hat’s jetzt echt die Sprache verschlagen, das merkte auch Kurt. Er nickte auf so eine fürsorgliche Art und meinte: „Ich seh schon, du bist nicht nur ideenlos und unkreativ bei deinen Bildern, sondern auch bei Geschichten. Dann gib mal wieder her, mir fällt schon noch was ein.“

So zog er breit lächelnd wieder zu seinem Haus.

Nein, er hat sich nicht noch mal umgedreht, und nein, mir ist auch nichts mehr eingefallen.

Was sagt ihr? Endlich mal wieder eine lustige Geschichte? Hallo, geht’s noch?

Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. ICH schreibe hier die Geschichten und ICH bestimme, welche Geschichten hier veröffentlicht werden und welche nicht. Und meine Webmasterin hält sich an diese Vereinbarung.

Webmasterin? Hallo? Wieso reagiert die nicht?

😉

Thomas Tremmel