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The dirty Knights

Wusstet ihr eigentlich, dass viele Radfahrer nicht wie der gewöhnliche Mensch vom Affen, sondern vom Murmeltier abstammen?

Ich weiß, da kommt man nur sehr schwer drauf, da Murmeltiere z. B. keine Schweißdrüsen haben und so mancher Rennradfahrer sogar Schweißdrüsen an Stellen hat, die niemals die Sonne sehen (okay, weniger Informationen, ich habe verstanden).

Murmeltiere hecheln auch nicht, wenn ihnen zu warm wird, was man von einigen Radfahrern nicht behaupten kann.

Was sie aber mit ihren Vorfahren gemeinsam haben ist:

Der Winterschlaf.

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Sobald die Temperaturen im November sinken, werden sämtliche Radfahraktivitäten bis zum Frühjahr eingestellt. Der schützende Bau wird erst wieder verlassen, wenn auch wirklich kein körperlicher Schaden durch böse Regentropfen und Temperaturen unter 15°C entstehen können (ab einer Temperatur von 15°C kann man schon mal eine Ausfahrt mit langer Radfahrhose und dreilagiger Frottee-Unterhose (lang) wagen).

Wie man merkt, dass der Winterschlaf beginnt? Weiß der Geier, denn ich stamme nicht vom Murmeltier, sondern vom Affen ab (jaja, ist mir schon klar, dass jetzt einige Leser heftig zustimmend mit dem Kopf schütteln).

Ich merke es nur daran, dass ich plötzlich alleine beim wöchentlichen Training stehe oder evtl. noch ein Zweiter mit mir gemeinsam Schultern am Treffpunkt zuckt.

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Im Gegensatz zum Murmeltier, das als Ausrede für diesen Winterschlaf nur auf seine ihm angeborene Natur zurückgreifen konnte, hat sich im Laufe der Evolution das kleine Ausredenhirn beim Radfahrer deutlich vergrößert.

„Mir steckt die Erkältung noch in den Knochen, da will ich nix riskieren.“ Schon klar, im Winter wird ein kleines Hüstelchen durch zu viel Hausstaub gleich als schwere Grippe diagnostiziert, aber im Sommer fährt man auch mit gebrochenem Bein noch Rennrad.

„Mein Rad ist nagelneu, das will ich mir nicht gleich durch Matsch und Regen versauen.“ Natürlich nicht, man kauft sich ja auch ein neues Rad, wenn die Saison gerade zu Ende ist. Und das alte Rad soll ja noch verkauft werden, darf also nicht schmutzig werden.

„Ich muss heute so lange arbeiten, dass schaffe ich leider nicht.“ Jaja, Stempeluhren laufen bei schlechtem Wetter langsamer, habe ich schon von gehört.

„Ich hab noch kein Licht am Rad.“ Aha, und wenn ich dann frage, was mit einer Tagfahrt am Wochenende ist? „Ich brauch das ja auch, wegen besser gesehen werden. Will da nix riskieren. Aber ich bestell bald.“ Ja klar, zu Ostern, wenn’s wieder wärmer wird.

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Aber die schlimmste Ausrede von allen, auch, weil mir damit ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, ist ja wohl die Folgende. „Familie geht vor.“ Boah ey. Im Sommer wird die Else mit den Blagen ins Schwimmbad geschickt, jede Tupper-Party wird genehmigt, Wochenende mit bester Freundin? Kein Problem, die Frau muss auch mal ihren Freiraum haben, aber im Winter heißt es auf einmal „Die Familie geht vor.“

Meine Frau kommt doch letztens vom Einkaufen wieder und sagt zu mir: „Du Thomas, ich hab den Gerrit getroffen. Mir ist aufgefallen, dass er momentan kaum noch mit dir fährt und da hab ich ihn gefragt, warum das so wäre. Weißt du was er darauf geantwortet hat?“

Ja sicher, weil bei seiner beheizten Strumpfhose das Starkstromkabel versagt hat. „Äh nein, keine Ahnung, warum denn?“

Mein Frau sagte strahlend: „Er hat gesagt, wenn man Familie und Radfahren als Hobby hat, dann muss man Prioritäten setzen, und das mache er gerade. Man sollte als Mann immer wissen, was das Wichtigste im Leben ist.“

DER AAAARSCHHHHH.

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Und im Sommer kommt er dann wieder bei mir angekrochen, ob ich seiner Else nicht sagen könnte, wie sicher ich mich mit ihm fühle, deshalb ungerne alleine fahre und dass er un-be-dingt am Sonntag mit mir mitfahren muss, obwohl er schon am Samstag eine lange Tour unternommen hat.

Am Arsch, das nächste Mal mach ich’s nicht. (Und ich mach’s dann doch, weil ich Gerrit ja auch als Ausrede nutze: ‚Du Schatz, der Gerrit mag ohne mich nicht fahren, was soll ich machen, Kumpels helfen sich gegenseitig, hähä‘).

Warum ich überhaupt noch frage, ob jemand mitfährt? Na warum wohl? Frage ich nicht, kommt anschließend sofort ein: „Warum hast denn nicht Bescheid gesagt, ich wäre geeeerne mitgekommen.“

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Aber jetzt kommt die absolute Härte. Komme ich doch gestern von einer Tour wieder nach Hause. Angenehme 4°C, leichter Nieselregen. Die Regenklamotten sehen nach der MTB-Tour durch Wald und Matsch zwar aus wie Sau, haben aber gehalten und Dreck kann man abspülen. Gleiches gilt auch für das Mounti, welches sich am wenigsten am Wetter stört.

Auf dem Weg zu meinem Wasserschlauch steht jedoch ein SUV (ich hasse diese Schwanzverlängerungskisten) auf meiner Einfahrt mit laufendem, stinkendem Motor. Gerrit.

Als ich der Fahrertür näher komme, fährt die Seitenscheibe ein Stück runter und ins Blickfeld kommt ein kaum zu erkennender Gerrit. Wollmütze, dicke Jacke, Schal und Handschuhe.

„Man man, wird aber auch Zeit, dass du endlich kommst. Bin schon dreimal um Block gefahren, weil die Scheiß-Heizung im Leerlauf einfach keine Leistung bringt.“

Der ist doch bekloppt. „Du kommst zu spät, Gerrit, ich habe meine MTB-Tour bereits beendet.“ (Haha)

Gerrit schaut einmal an mir hoch und runter und bemerkt dann: „Ja äh, schade äh, aber deshalb bin ich gar nicht da.“

„Ach was? Deine beheizbare Sofadecke kaputt?“ Gerrit schaut etwas überrascht: „Äh nö, wie kommst du darauf?“

Au man.

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Gerrit fährt die Seitenscheibe noch ein Stück weiter runter und lehnt sich sogar etwas raus. Dann sagt er mit begeisternder Stimme: „Ich will mit den Jungs an der Veranstaltung Germanys hardest and dirtiest Biker teilnehmen. Und wir wollten fragen, ob du auch dabei bist?“

„Germanys what?“ fragte ich erstaunt.

„Germanys hardest and dirtiest Biker“ Da fährst du mit dem MTB bis zu dreimal über einen 10km Rundkurs. Dabei musst du durch riesige Pfützen, verschlammte Wege und tiefe Gräben fahren. Auf einem ca. 100m Teilstück lassen die es sogar von oben künstlich regnen, Hammer, oder?“

Ich werd noch bekloppt.

Gerrit erzählt weiter mit wachsender Begeisterung: „Stell dir mal vor, das ist schon in zwei Wochen. Da ist es noch richtig kalt und wir kämpfen uns dann bei saumäßigen Bedingungen durch Matsch und Regen. Boa ey, muss das geil sein, Matsch zwischen den Zähnen, durchnässte Klamotten, knirschende Kette und dann total abgekämpft, plitschnass und dreckig auf sein Zimmer kommen und erst mal schön warm duschen.

Wir haben auch schon einen Namen, mit dem wir unsere Gruppe anmelden. The dirty Knights. Na, was sagst du? Und mach doch mal den Matsch von deiner Brille ab.“

Ich wischte mit einem Finger meines triefnassen Handschuhs den Matsch von meiner Brille.

„Nass, kalt und das Mounti wird durch den Matsch total dreckig? Ne, ich glaub das ist nix für mich.“

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„Waaa? Ach komm Thomas, da gibt es am Ende auch eine Medaille mit Gravur. Da steht dann The hardest and dirtiest Biker in Town Und für 5 Euro extra kannst du dir statt in Town auch from Harsefeld gravieren lassen. Dafür lohnt sich das doch, oder?“

Mit Gravur? Da mag man ja kaum noch ablehnen.

„Ne, lass mal. Ich hab schon so ein leichtes Kratzen im Hals und mir ist mein neues Mountainbike dafür auch zu schade. Außerdem ist das, glaub ich, genau das Wochenende, wo ich Samstag arbeiten muss und Sonntag meiner Frau einen gemeinsamen Ausflug versprochen habe.“

Gerrit schaute mich etwas ungläubig an: „Ist nicht dein Ernst, oder? Wir planen sogar anschließend einen Artikel für die Zeitung, so in der Art: Die dirty Knights lassen sich von keinem Wetter vom Radfahren abhalten. Na, überzeugt dich das nicht?“

„Nä, ich bin eh sehr medienscheu.“

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„Alter, du bist aber auch echt ein Weichei. Na ja, wie auch immer, ich muss jetzt los, die Jungs warten schon auf mich. Vorbereitung für die Veranstaltung.“

„Ach? Wollt doch noch ’ne Tour machen?“

„Ne, ist ja schon dunkel, und wir haben vergessen, äh…hüstel…unsere Lampen-Akkus zu laden. Wir treffen uns zum gemeinsamen Rollentraining.“

Gerrit fuhr seine Seitenscheibe schon wieder hoch, als ich noch schnell die Hand hob und er den Fensterheber kurz stoppte.

„Kleiner Tipp für realistischere Bedingungen; lasst die Heizung beim Rollenfahren einfach mal aus.“

Die Seitenscheibe fuhr kommentarlos hoch, aber anschließend sah man Gerrit ordentlich schimpfen.

The dirty Knights, au man. Meine Radkumpels sind schon echte Ledernacken, ich mag sie trotzdem 🙂

Thomas Tremmel